Gemeinsame Ziele, geteilte Krisen: Der Einfluss globaler Krisen auf die SDG-Umsetzung

Autorin: Melanie Bernhard

Internationale Konflikte, Pandemie und global steigende Preise – die globalen Herausforderungen der letzten Jahre fordern eine enge staatliche und diplomatische Zusammenarbeit, bringen aber vermeintlich eher zwischenstaatliche Spannungen mit sich (Klingebiel, 2022, United Nations, 2023). Die Zahl der internationalen bewaffneten Konflikte ist in den letzten Jahren sogar gestiegen (Herre et.al, 2023). Während die internationale Gemeinschaft mit hoher medialer Aufmerksamkeit auf diese Krisen reagieren und schnelle Lösungen entwickeln musste, geriet ein anderer Punkt auf der globalen Agenda zunehmend in den Hintergrund – die Umsetzung der 2015 verabschiedeten globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Dabei stagnierte die Umsetzung der Ziele nicht nur, es konnten auch bei bereits verzeichneten Erfolgen wieder rückläufige Trends festgestellt werden (Bannan-Fischer, 2023, Deutscher Städtetag, 2023, United Nations, 2023).  

Dies ergab ebenfalls der SDG-Gipfel im September 2023, bei dem die UN-Mitgliedsstaaten den aktuellen Stand der SDG-Umsetzung besprachen und dabei auch auf die stagnierende, in Teilen sogar rückschrittliche Entwicklung eingehen mussten. Die Staaten drückten nochmals ihre Überzeugung zu den SDGs aus, konkrete Konzepte für die Umsetzung blieben jedoch offen (Bannan-Fischer, 2023). In einer Zeit diverser Krisen stellt sich die Frage, wie diese mit dem rückschrittlichen Trend der SDGs zusammenhängen. Beeinflussen Krisen die Bindung der Staaten an die SDGs? Wie verändern sich die zwischenstaatlichen Beziehungen durch die Krisen? Diese Zusammenhänge sollen im Beitrag genauer betrachtet werden. 

 

Bewaffnete Konflikte, COVID-19 und Inflation - Globale Krisen und die SDGs

Fortschritte der 17 SDGs nach Umsetzung der Unterziele (in Prozent). Quelle: United Nations, 2023

Die für 2020 bis 2030 erklärte “UN-Dekade des Handelns” stand in den letzten Jahren zunehmend im Schatten globaler Herausforderungen. Die Corona-Pandemie, geopolitische Machtinteressen und ein weltweit wachsendes Misstrauen lenkte den Fokus der Staaten nicht nur von einer erfolgreichen SDG-Umsetzung ab, sondern nahm auch einen negativen Einfluss auf den bisherigen Stand der SDGs (Klingebiel, 2023, United Nations, 2023). Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, das am 7. Oktober 2023 von Hamas erfolgte Massaker an Jüdinnen und Juden und der daraus resultierte bewaffnete Konflikt zwischen Israel und Hamas schafften eine zunehmend angespanntes internationales Klima. Zum einen verschieben sich in Krisenzeiten die Prioritäten für staatliches Handelns, zum anderen haben die Krisen auch konkrete Auswirkungen auf einzelne SDG-Bereiche.

Beispiel: Die Exportschwierigkeiten von Getreide als Folge des Ukrainekrieges hatten eine bedeutende Auswirkung auf die Ziele des SDG2 (Kein Hunger). Die Getreideexporten sanken ohne Exporte aus der Ukraine um knapp 30%, die Preise stiegen um ein Vielfaches an. Beide diese Faktoren ließen den Zugang zu Getreide, vor allem für die weniger und am wenigsten entwickelten Länder, noch schwieriger werden.  Vor Beginn des Angriffskrieges waren viele Länder des sogenannten globalen Südens bereits von Getreideexporten aus Russland und der Ukraine abhängig (Bannen-Fischer, 2023). 

 

Der Terrorangriff der Hamas auf Israel versetzte die internationale Gemeinschaft im Oktober 2023 ebenfalls unter Schock. Der andauernde Konflikt im Nahen Osten erzeugt ein angespanntes zwischenstaatliches Verhältnis und bringt große diplomatische Herausforderungen mit sich. Mit Blick auf Menschenrechte, Armut und Hunger erzeugt auch dieser Konflikt einen rückschrittlichen Effekt auf die SDGs (Human Rights Watch, 2023). 

Die Corona-Pandemie verursachte einen weiteren Rückschlag für die Umsetzung der SDGs (Kempf & Hujp, 2022, United Nations, 2023). Armut verstärkte sich vor allem im sogenannten globalen Süden, während Bildungsmöglichkeiten und geschlechtsspezifische Unterschiede weniger kontrollierbar wurden und sich dadurch wieder weiter verstärkten. Dies wurde vor allem in der Bildung bei Kindern und Jugendlichen, aber auch in der Erwerbs- und Carearbeit deutlich (Kempf & Hujo, 2022). Darüber und über die gesundheitlichen Folgen hinaus, bringt die Corona-Krise auch langzeitlichen finanziellen Folgen mit sich. Die durch die Krise entstandene Armut, undurchsichtige Arbeitsverhältnisse und Schulden der Staaten trifft die Staaten und Menschen in den weniger und am wenigsten entwickelten Ländern (LCD, LLCD) dabei noch stärker als die Industriestaaten. Staatliche Rettungsschirme gibt es in den Ländern des sogenannten globalen Südens oft nicht (Global Marshall Plan, 2023, Gresh, 2022, Klingebiel, 2022). 

 

Welche Auswirkungen haben diese Spannungen auf die Beziehungen zwischen globalem Norden und globalem Süden?

Die Corona-Pandemie brachte neben vielen anderen Folgen auch einen großen sozio-ökonomischen Schock mit sich, etwa in Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Dieser Effekt war besonders im globalen Süden zu beobachten. Genauso verursachte der Ukraine-Krieg und die damit einhergehenden Liefer- und Nahrungsversorgungsschwierigkeiten gravierende Folgen, die sich stark auf Länder des globalen Südens auswirkten (Klingebiel, 2022). Während die westlichen Länder versuchten, die Krisen diplomatisch zu bewältigen und mit den Bedürfnissen und Interessen aller Länder zu vereinen, blieben Länder des globalen Südens dabei oft außen vor.  

Durch den russischen Krieg gegen die Ukraine wurden die etablierten internationalen Beziehungen besonders auf den Prüfstand gestellt (Klingebiel, 2022). Während der Westen seine klare Haltung als Verbündete der Ukraine zeigte und Putin’s Angriff deutlich verurteilte, nahmen viele Länder des sogenannten globalen Südens eine andere Position ein. Putin verbreitete sein eigenes Narrativ eines “vereinten, korrupten Westens” und konnte so Teile des globalen Südens auf die Seite Russlands ziehen. Im Zuge des Hamas-Israel Konflikts konnte auch eher ein Trend hinzu internationalen Spannungen als eine effektive globale Zusammenarbeit festgestellt werden. Putin führt sein Narrativ gegen den “korrupten Westen” auch mit diesem Konflikt weiter fort (Gresh, 2022).   

Gerade die Kritik eines “Doppelstandards” des Westens im Kontext internationaler Konflikte lässt viele Länder des sogenannten globalen Südens weniger Putin-kritisch, dafür jedoch skeptischer gegenüber dem Westen werden. Dieser “Doppelstandard” bezieht sich vor allem auf die unmittelbare und hilfsbereite Reaktion des Westens gegenüber manchen Ländern, etwa der Ukraine nach der Invasion Russlands, während Konflikte im globalen Süden nicht das gleiche Maß an Aufmerksamkeit, Unterstützung und Hilfestellung erfahren (Gresh, 2022). Dadurch gehen die Wahrnehmungen und das Verständnis des Ukraine-Krieges zwischen dem sogenannten globalen Norden und Süden deutlich auseinander, was sich wiederum auf die internationale Zusammenarbeit und den internationalen Beziehungen auswirkt. 

Die “Spillover-Effekte” sind ein weiterer Aspekt im Verhältnis zwischen globalem Norden und globalem Süden, wenn es um die Erreichung der SDGs geht (Droste, Lütkes & Waltenberg, 2023). Während laut Ranking Staaten des globalen Nordens erfolgreicher in ihrer Umsetzung von Maßnahmen zu den SDGs sind als Länder des globalen Südens, zeigt das “Spillover-Ranking” einen anderen Trend. Hier geht es um die Auswirkungen der Maßnahmen von Industriestaaten, die zwar vermeintlich zu mehr nachhaltigen Strukturen führen, es Staaten des globalen Südens aber umso schwieriger machen, sich selbst nachhaltiger zu entwickeln. Beispiele hierfür sind etwa Lieferketten und schlechte Arbeitsbedingungen oder die Verschmutzung von Böden und Wasser. Maßnahmen zu den SDGs hängen also global zusammen. Sie müssen zwar lokal entwickelt werden, die Auswirkungen müssen aber in Bezug auf alle Länder gedacht werden (Droste, Lütkes & Waltenberg, 2023)

 

Auswirkungen auf der Landes- und kommunalen Ebene und der SDG-Gipfel 2023

Die Spannungen in der internationalen Gemeinschaft, ein wachsendes zwischenstaatliches Misstrauen und damit sinkende Zusammenarbeit zeigt deutliche Auswirkungen auf die Implementierung der SDGs auf nationaler, Landes- und kommunaler Ebene (Deutscher Städtetag, 2023, Klingebiel, 2022). In deutschen Kommunen etwa konnte zwar in den letzten Jahren zwar ein Anstieg an Engagement und mehr Maßnahmen zur Umsetzung der SDGs verzeichnet werden, Kommunen appellieren aber auch an die Bundesregierung, dass die Unterstützung und Zusammenarbeit weiter steigen müssen, damit die SDGs wirklich umgesetzt werden können (Deutscher Städtetag, 2023). Durch die verschiedenen Krisen ist der Fokus auf die SDGs und die Förderung der finanziellen Mittel eher zurückgegangen. 

Der UN-SDG-Gipfel in New York im September 2023 ergab eine neue Erklärung der internationalen Gemeinschaft, dass die SDGs nach wie vor bis 2030 erfolgreich umgesetzt werden sollen (United Nations, 2023). Allerdings fehlt es dabei an vielen Stellen an konkreten Planungen der Maßnahmen und die Herkunft der finanziellen Mittel. Die Entscheidungen auf internationaler Ebene setzen die Rahmenbedingungen für die nationalen Handlungsmöglichkeiten. Das gilt sowohl für den Rahmen der Aufmerksamkeit für die SDGs als auch etwa für die nötigen finanziellen Mittel. Stehen im internationalen Kontext andere Themen auf der Agenda, wird das auch auf nachgeordneten Ebenen spürbar, etwa durch geringere finanzielle Mittel in den Kommunen oder durch einen Fokus auf “andere, dringendere” Themen. 

 

Fazit

Aktuelle Krisen erschweren spürbar die Umsetzung der SDGs auf internationaler und nationaler Ebene. Ein Großteil der SDGs stagnieren in ihrer Umsetzung oder zeigen sogar rückläufige Entwicklungen auf (United Nations, 2023). Die Corona-Pandemie, internationale Konflikte und steigende Preise werfen die Staaten in der Implementierung weiter zurück.  

Der SDG-Gipfel im September 2023 ergab dennoch eine Erklärung der Staaten, die SDG-Umsetzung weiterhin ernsthaft zu verfolgen und eine Erreichung der Ziele bis 2030 selbstbewusst anzustreben. Beobachter*innen weisen jedoch darauf hin, dass dafür eine neue Herangehensweise notwendig sei. Die Einstellung der internationalen Gemeinschaft muss sich weg von einer kompetitiven und hin zu einer kooperativen Zusammenarbeit entwickeln und die Herausforderungen der SDGs in einem globalen Kontext sehen.  

Internationale Beziehungen setzen die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche SDG-Implementierung im nationalen Kontext, Land und Kommune. Dafür müssen die nötigen finanziellen Mittel geschaffen werden und die SDGs sozial, ökologisch und ökonomisch vereinbar angegangen werden.  

 

 

Quellen:

Droste, Leonie, Lütkes, Linda, Waltenberg, Tabea (2023). Spillover-Effekte in der Nachhaltigkeitsstrategie verankern. Nachhaltigkeit ohne Grenzen. Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Online verfügbar unter: https://www.idos-research.de/die-aktuelle-kolumne/article/spillover-effekte-in-der-nachhaltigkeitsstrategie-verankern/, zuletzt besucht am 27.02.2024 

Bannan-Fischer, Laura (2023): Neuer Aufschwung oder unüberwindbare Hindernisse? Der SDG-Gipfel 2023 im Zeichen eskalierender globaler Mehrfachkrisen. In Peace Research Institute Frankfurt / Leibniz Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, 9/20/2023. Online verfügbar unter: https://blog.prif.org/2023/09/20/neuer-aufschwung-oder-unueberwindbare-hindernisse-der-sdg-gipfel-2023-im-zeichen-eskalierender-globaler-mehrfachkrisen/, zuletzt besucht am 23/02/2024. 

Deutscher Städtetag (2023): Halbzeitbilanz zur Umsetzung der Agenda 2030 in deutschen Kommunen. Online verfügbar unter: https://www.staedtetag.de/files/dst/docs/Publikationen/Weitere-Publikationen/2023/handlungsempfehlungen-halbzeitbilanz-agenda-2030-in-deutschen-kommunen.pdf, zuletzt besucht am 23/02/2024 

Global Marshall Plan (2023): Im Schatten der Pandemie – die SDG in der Krise. Online verfügbar unter https://www.globalmarshallplan.org/im-schatten-der-pandemie-die-sdg-in-der-krise/, zuletzt besucht am 23/02/2024. 

Gresh, Alain (2022): Der Ukrainekrieg und der globale Süden. le monde diplomatique. In Atlas der Globalisierung, pp. 34–36. 

Herre et.al (2023): War and Peace. Our World in Data. Online verfügbar unter: https://ourworldindata.org/war-and-peace, zuletzt besucht am 23/02/2024. 

Human Rights Watch (2023): Israel and Palastine. Events of 2023. Verfügbar unter: https://www.hrw.org/world-report/2024/country-chapters/israel-and-palestine, zuletzt besucht am 01.03.2023.  

Kempf, Isabell; Hujo, Katja (2022): Why Recent Crises and SDG Implementation Demand a New Eco-Social Contract. In Financial Crises, Poverty and Environmental Sustainability: Challenges in the Context of the SDGs and Covid-19 Recovery, pp. 171–186. DOI: 10.1007/978-3-030-87417-9_12. 

Klingebiel, Stephan (2022): Engaging with partners in the Global South in uncertain times (5/2022). Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Online verfügbar unter: https://www.idos-research.de/en/policy-brief/article/engaging-with-partners-in-the-global-south-in-uncertain-times, zuletzt besucht am 01.03.2024 

United Nations (2023): The Sustainable Development Goals Report. Special Edition. Online verfügbar unter: https://unstats.un.org/sdgs/report/2023/The-Sustainable-Development-Goals-Report-2023.pdf, zuletzt besucht am 01.03.2024 

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