Mut zum Wandel in Nordfriesland - Landhof Carstensen

Autorin: Lea Kleymann

Und da bin ich schon wieder in Nordfriesland, dieses Mal noch ein wenig weiter Richtung Küste in Galmsbüll bei Christian Carstensen auf Landhof Carstensen. Solch eine schöne Strecke habe ich noch nicht erlebt, wahrscheinlich haben das Wetter, die Sonnenstrahlen und auch die weitläufige Landschaft alles aus sich herausgeholt, um mich in Nordfriesland willkommen zu heißen. Schwer beeindruckt von dem flachen Land, dem Weitblick und der Ruhe, die ausstrahlt wird, parke ich auf dem Hof, sehe die kürzlich geschlossene Käserei und den Hofladen und mache mich auf die Suche nach Christian.  

Direkt hinterm Deich befindet sich der Hof von Christian Carstensen, den er bereits in der vierten Generation führt. Auch wenn der Hofladen und die Käserei geschlossen sind, wird natürlich weiter Landwirtschaft betrieben, die Aufzucht und Haltung von Fleischschafen sowie Kreuzungskälbern aus Milchkühen und Fleischbullen. Christian bewirtschaftet seinen Hof nach biologischen Demeter-Standards und hat eine Fläche von 95 Hektar (ha) zur Verfügung.  

 

Was ist der Unterschied zwischen Bioland, Demeter und den europäischen biologischen Standards?  

Bio ist nicht gleich Bio! Es gibt unterschiedliche Richtlinien, zwischen denen ein landwirtschaftlicher Betrieb auswählen kann, nachdem die Entscheidung gefallen ist auf biologische Landwirtschaft umzustellen. Diese Richtlinien sind unterschiedlich streng, denn dahinter stecken jeweils andere Ansätze. Der*die Landwirt*in hat unter anderem die Auswahl zwischen den Richtlinien der EU, den Bioland-Richtlinien oder den Demeter-Richtlinien. Meist gibt es eine Umstellungszeit, wenn diese erfolgreich umgesetzt wurde, wird dem Betrieb die entsprechende Zertifizierung ausgestellt. Die unterschiedlichen Labels hast du bestimmt schon häufiger auf Lebensmitteln gesehen. Wie die Richtlinien genau aussehen, erfährst du auf den Webseiten der Verbände Bioland und Demeter, sowie auf der Webseite des Informationsportals Ökolandbau 

 

Im Umkreis von 3,5 Kilometern liegen alle Flächen von Christian, damit muss er keine langen Strecken zurücklegen, was natürlich ein Vorteil ist. Insgesamt hat er 12 ha Ackerland, auf denen er überwiegend Kleegras und Futter für die Tiere anbaut. Dazu zählt auch Hafer, der sehr gut für die Verdauung der Schafe ist und als Kraftfutter dient. Manchmal baut er Raps oder auch Dinkel an. Außerdem hat Christian 40 ha arrondierte Fläche gepachtet, auf der seine Schafe ca. 10 Monate pro Jahr stehen.  

 

Was heißt arrondierte Fläche?

Unter einer arrondierten Fläche im landwirtschaftlichen Sinne versteht man die Zusammenfassung einzelner kleiner landwirtschaftlicher Flächen zu einer großen Fläche. Christian nutzt arrondierte Flächen als Weide für seine Schafe. Kleinere Flächen eignen sich weniger für die Weidehaltung, da die Tiere das Gras schnell runterfressen und dann zur nächsten Fläche transportiert werden müssten. Arrondierung dient also zu einer besseren Nutzung oder auch einer Wertsteigerung der Fläche. 

 

Schafe treiben, wie sein Vater oder Großvater es gemacht haben, tut er nicht mehr. Heute ist die Welt eine andere, so Christian. Deswegen werden die Schafe im Anhänger transportiert, um sie auf die Flächen zu bringen. Die Strukturen sind heute anders, Bürger*innen nicht mehr an Schafe auf Straßen gewöhnt, das Leben und die Autos sind schneller geworden. Im März bringt er die Tiere auf die Fläche. Wenn die Sonne ein wenig stärker wird, dann kommen erstmal wenige Tiere auf eine große Fläche und je stärker der Aufwuchs (also je mehr Gras) desto mehr Tiere können dann von der Fläche satt werden. Im Winter haben die Tiere ein gutes Leben im Stall, mit genügend Futter und ein wenig Wärme nach dem Scheren.  

Christians Betrieb ist kein Haupterwerbsbetrieb, deswegen muss die Zeit sinnvoll eingeteilt werden. Mit seiner zusätzlichen Anstellung von 20 Stunden die Woche bei einem Lohnunternehmen ist in den letzten Jahren mit der Mehrbelastung durch den Hofladen und die Käserei, sowie dem Melken der Tiere, einiges auf Landhof Carstensen liegen geblieben. Da hieß es erstmal zurückfahren, um wieder Kraft zu tanken und Zeit zu haben einiges nachzuholen. 2030 oder 2031, so der Wunsch, soll der Hof wieder ein Haupterwerbsbetrieb sein. Christian teilt so einige Überlegungen mit mir, die ich sonst selten von Landwirt*innen höre. Welche Maschinen gebraucht werden, sodass er keine Darlehen aufnehmen muss und dabei hat er immer im Hinterkopf, dass der Betriebszweig, der am besten funktioniert – die Schafe – auch erfolgreich bleibt.  

Christian erklärt mir, dass es bei der Haltung von Fleischschafen auch immer um die Zucht geht. Wichtige Eckpunkte sind z.B. die Fruchtbarkeit, die Robustheit, die Mastfähigkeit der Rasse. Gerade bei dem Wetter in Nordfriesland auf den Deichen ist eine gewisse Robustheit wichtig. Fruchtbarkeit ist dann wichtig, wenn es um den Verkauf von Lämmern und natürlich Geld geht. Wenn ein Schaf nur ein Lamm gebärt, dann reproduziert sich das Schaf lediglich selbst. Besser wären zwei Lämmer pro Schaf, „dann ist das eine super Nachzucht“. Zurzeit hat Christian einen Durchschnitt von 1,7 Lämmern pro Schaf. Betriebe, die einen Durchschnitt von 2 Lämmern pro Schaf haben, sind monetär einfach besser aufgestellt, können mehr investieren und an die Zukunft denken, so der Landwirt.  

Was machen Schafe eigentlich auf Deichen?  

Schafe sind nicht nur schön anzusehen, sondern sind vor allem Landschaftspfleger. Durch die Beweidung von Flächen werden Biotope gepflegt und die Artenvielfalt erhöht. Auf Deichen tragen sie maßgeblich zum Hochwasserschutz bei und das auf eine naturnahe Art.  

Umbruch – auf in bessere Zeiten?

Auf der Homepage geht der Landhof Carstensen transparent mit der eigenen Landwirtschaft und auch der Schließung der Käserei und des Hofladens um. Der Umsatz sei einfach nicht mehr da gewesen. Während unseres Gesprächs erfahre ich auch, dass die ganze Familie in die Produktion von Käse und Joghurt, sowie den Verkauf eingespannt war. Der Arbeitsaufwand habe aber in keiner Relation mehr zum Umsatz gestanden. Mit der Schließung eines Betriebszweigs eröffnen sich neue Perspektiven. Und dort probiert sich Christian gerade aus, nämlich an der Bullenmast. Erstmal 10 Kälber zum Ausprobieren, so der Landwirt.   

Generell gibt es einige Umbrüche in der Landwirtschaft. Als ich mich mit ihm Anfang 2024 zum Interview treffe, sind die Bauernproteste in vollem Gange. Christian war auch bei einem Protest in Flensburg, schaffe es aber nicht nach Berlin. „Ich frag mich immer, wie die es schaffen“, mit „die“ sind die Landwirt*innen gemeint, die lange Wege zurückgelegt haben, um in Berlin zu demonstrieren. Er sagt auch: „diese Agrarreform betrifft uns jetzt nicht alle so heftig, wie es vielleicht am Anfang klang“, ist aber generell frustriert von der deutschen und europäischen Agrarpolitik. Viel Bürokratie, viele Regelungen, die einfach mal so beschlossen werden und wenig Wertschätzung.  

Ein Paradebeispiel für die Trägheit der Politik in S-H sei der Umgang mit den Gänsen. Heute haben wir es mit einer Überpopulation der Gänse zu tun, die Ernten wegfressen und die Fläche vollkoten, so Christian. Landwirt*innen können nur wenig gegen die Gänse machen, denn diese stehen unter Naturschutz. Landwirt*innen haben aber Einbußen durch deren Verhalten. Christian kalkt seine Flächen, damit der pH-Wert des Bodens stimmt. Zudem ist eine erhöhte Wahrscheinlichkeit gegeben, dass seine Tiere krank werden, wenn die Schafe vollgekotetes Gras fressen. Vor zehn Jahren hätte man Maßnahmen treffen sollen, die mit der Landwirtschaft UND dem Arten- und Naturschutz im Einklang stehen. Jetzt sei es viel zu spät! Beim Thema Wolf kann der Landwirt eine ähnliche Trägheit beobachten. Die Absprachen und Maßnahmen sind einfach zu langsam und das geht dann auf Kosten der Landwirtschaft.  

Perspektivlos ist Christian auf keinen Fall, aber ich merke auch bei ihm eine große Frustration in Richtung der Politik. Menschen, die auch zukünftig in der Landwirtschaft arbeiten wollen, muss eine Perspektive geboten werden. Wenn wir möchten, dass die Landwirtschaft hier in S-H bleibt, dann müssen wir dies ermöglichen. Landwirt*innen liefern Lebensmittel, produzieren Futtermittel, pflegen Landschaften, erhalten Traditionen und müssen dabei Geld verdienen. Immer neue Regelungen von der Politik stellen kleine Betriebe oftmals vor große Herausforderungen – zwingt sogar den einen oder anderen in die Knie. Nichtsdestotrotz muss die Landwirtschaft in S-H, Deutschland, Europa und weltweit mehr Wert auf Artenvielfalt, Biodiversität, einen ethisch vertretbaren Umgang mit Tieren und die Einhaltung von Menschenrechten entlang der Lieferkette legen. In diesem Spannungsfeld stehen nicht nur die Landwirt*innen, sondern auch unsere Gesellschaft. Es geht nicht um ein entweder oder, sondern um unser zukünftiges Miteinander und dort setzen die Sustainable Development Goals (SDGs) an, die eine nachhaltige Entwicklung fördern und ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte gleichermaßen berücksichtigt. In Schleswig-Holstein und speziell in der Landwirtschaft bedeutet dies, dass wir unsere Produktions- und Konsumgewohnheiten überdenken und anpassen müssen, um diese zu erreichen. Es bedeutet auch, den Wert von Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Produkten angemessen zu würdigen und fair zu entlohnen, um eine gerechtere und nachhaltigere Wertschöpfungskette zu schaffen. Letztendlich bedeutet die Umsetzung der SDGs in der Landwirtschaft, dass wir eine Landwirtschaft fördern müssen, die nicht nur Nahrungsmittel produziert, sondern auch zum Schutz der Umwelt beiträgt und soziale Gerechtigkeit fördert. 

Es ist eine Angewohnheit von mir geworden am Ende zu schreiben, dass ich mich in mein ausgeliehenes Auto setze und mit vielen Gedanken nach Kiel zurückfahre. Das mache ich dieses Mal nicht! Denn nach unserem Interview fahre ich nach Niebüll und trinke dort, wie es sich für Stadtmenschen gehört, einen Cappuccino mit Hafermilch im Unverpackt-Laden. Dort sitzend geht mir das Gespräch mit Christian nicht aus dem Kopf und mir stellt sich die Frage, was ich tun kann, um die Landwirtschaft in S-H mit Hilfe der SDGs zu stärken und wie viel Einfluss ich als Verbraucherin wirklich habe.  

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