Sie arbeiten auch in einem Jugendtreff in Schleswig-Holstein und finden die Idee der internationalen Jugendbegnung auch für Ihre Einrichtung spannend? Wir sagen Ihnen gerne, wie es konkret geht.
Chiara Dickmann
Text: Marco Klemmt
Jenseits vordergründig politisch motivierter Solidaritätsgruppen hat sich auch in Schleswig-Holstein eine andere Art von Partnerschaftsarbeit etabliert: Jugendliche und junge Erwachsene nehmen an internationalen Austauschbegegnungen teil und/oder initiieren interkulturelle Projekte. In der Regel sind diese nicht langfristig angelegt, bieten den Teilnehmer*innen aber die Möglichkeit, persönlich zu wachsen, kritisch mit anderen Jugendlichen aus anderen Ländern und Kulturen zu diskutieren – anschließendes längerfristiges Engagement anderswo nicht ausgeschlossen. In Kiel unterstützen die Stadt und ein Verein diese Ansätze.
In Kiel haben zwei Jugendtreffs seit einigen Jahren ihr Portfolio um ein auf den ersten Blick überraschendes Element erweitert: internationale Jugendbegegnung und Partnerschaft. Ihr Ziel ist es, gemeinsam mit „Jugendlichen aus den verschiedenen Bildungslandschaften eine solche Begegnung zu gestalten, erleben und daran zu wachsen“, erklärt Jennyfer Klock, stellvertretende Leiterin des Jugendtreff Russee.
Vor allem Jugendliche, welche für sich selbst die Möglichkeit eines einjährigen Auslandsaufenthaltes noch nicht erschlossen haben, sollen damit angesprochen werden. „Der Austausch mit Jugendlichen auf anderen Kontinenten soll dabei nicht nur dem Kennenlernen der jeweils anderen Kultur dienen“, sagt die gelernte Erzieherin weiter. „Gemeinsam zu arbeiten, sich zu informieren, kritisch zu diskutieren und im Idealfall ein gemeinsames Verständnis für unseren Planeten zu entwickeln, ist uns ebenfalls wichtig.“ Die Sustainable Development Goals (SDGs), die Globalen Nachhaltigkeitsziele der UN, bilden dabei den thematischen Rahmen.
2018 gab es – zusammen mit dem Kieler Jugendtreff Elmschenhagen – ein erstes derartiges Projekt. Partner der Jugendbegegnung ist „Thari E Ntsho Story Tellers“ in Maun, der Hauptstadt des North West District im südafrikanischen Botswana. Die Organisation engagiert sich gegen Arbeitslosigkeit und arbeitet daher vor allem mit arbeitslosen Jugendlichen zusammen.
„Der Anfang“, erinnert sich Jennyfer Klock, „war ganz schön holprig. Die Kommunikation fand ja überwiegend über Mail, Telefon oder Skype statt.“ Beiden Seiten fiel es daher schwer, den jeweils anderen gut einzuschätzen oder zu verstehen. Mit der ersten Präsenzbegegnung im Rahmen einer „weltwärts-Jugendbegegnung“ wurde vieles dann einfacher. Die Kontakte bekamen, so Jennyfer Klock, „einen viel persönlicheren Wert“.
Dennoch spielt die Digitalisierung eine wichtige Rolle. Denn das Aufrechthalten von persönlichen Kontakten ist für die Jugendlichen wesentlich leichter, wenn sie das auf ihren eigenen Wegen in ihren digitalen Alltag via WhatsApp oder anderer Messenger-Dienste integrieren können, ist sich die Kielerin sicher. „Auch das Zusammenkommen in Videokonferenzen wird dadurch persönlicher und manchmal auch lustiger, sobald die erste Unsicherheit dahingeschmolzen ist“, führt sie weiter aus. Darüber hinaus nutzen die Jugendtreffs die digitale Kommunikationsmöglichkeiten auch, um ihre internationale Partnerschaft, ihr Engagement nach außen hin sichtbarer zu machen. „Mit den sozialen Medien können wir unser Projekt bekannter machen, und die Menschen können unsere Aktivitäten zeitnah mitverfolgen.“
Im ersten Projekt haben sich die Jugendlichen aus Kiel und Maun damit auseinandergesetzt, wie Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten werden können. „Allein die Vielfalt an verschiedenen Charakteren in der deutschen und botswanischen Gruppe führte dazu, dass das Thema aus den verschiedensten Perspektiven gesehen, angesprochen und gestaltet wurde“, beschreibt Kock die Partnerschaftsarbeit.
Auch die Praxis kam nicht zu kurz: Gemeinsam mit den Teilnehmer*innen aus einer Maßnahme für arbeitslose Jugendliche gingen neun junge Kieler*innen bei ihrem ersten Besuch in Botswana ans Werk, und es wurde innerhalb von drei Wochen ein Gewächshaus mit eigener Bewässerungsanlage gebaut. Das bietet nun den angebauten Pflanzen Schatten und Schutz vor Tieren und den botswanischen Jugendlichen eine Perspektive. Denn alle erhielten einen Teil des Gewächshauses zur eigenen Bewirtschaftung. Auch die deutschen Jugendlichen nahmen etwas mit nach Hause: ein reales Bild eines zuvor fremden Landes. Und die Hoffnung der sie begleitenden Erwachsenen, dass sie dieses neue Bild auch ihrem sozialen Umfeld vermitteln werden.
Und so riss der Kontakt auch nicht am Ende des ersten gemeinsamen Projektes ab. Im Gegenteil, gerade wurde ein neues beantragt. Diesmal soll es um „Leben an Land“ gehen: Wie können wir Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen? Um dem Thema gerecht zu werden und den Jugendlichen einen möglichst weiten Blick über den eigenen Tellerrand zu ermöglichen, sollen auch andere Partnerorganisationen aus Schleswig-Holstein, etwa aus dem Umweltbereich, mit eingebunden werden. Anbieten würde sich hier natürlich klassischerweise auch eine Kooperation mit entwicklungspolitischen Initiativen oder lokalen Weltläden, die ihrerseits ja auch oft Globale Partnerschaften unterhalten.
Eine andere Art Globaler Partnerschaft verfolgt „The Pigeon Plan“. Der sich als „Sport- und Kulturgemeinschaft“ verstehende gemeinnützige Verein aus Kiel möchte über das Medium Skateboarding Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Kulturen vernetzen und ihnen in ihrer wegweisenden Lebensphase Angebote machen. Seit gut fünf Jahren engagieren sich Louis Taubert, ein 31-jähriger Ex-Profi-Skater, und seine Mitstreiter*innen ehrenamtlich im Schusterkrug Kiel. In dieser Gemeinschaftsunterkunft für bis zu 1200 Asylsuchende aus Krisengebieten möchten sie ihre Begeisterung und Leidenschaft für Skateboarding mit den Kindern und Jugendlichen teilen. „Und das ist viel mehr, als nur das Brett zu beherrschen“, widerspricht Taubert gleich einem immer wieder gehörten Vorurteil. „Und, nein, wir kiffen da auch nicht, dealen nicht mit Drogen.“ Skateboarding ist für ihn eine Lebenshaltung, eine Subkultur. Eine nonkonforme, identitätsstiftende Subkultur. Und wie immer haftet solchen natürlich etwas Geheimnisvolles, Unbekanntes, Verbotenes an.
Skateboarding ist eine Lebenshaltung.
Dabei gehe es ihm und seinem Verein darum, den „Kids“, wie er sie nennt, Angebote zu machen, sie zu „empowern“ in einer Lebensphase, die für viele Jugendliche schon unter normalen Umständen schwierig ist. „Und die Kids hier kommen traumatisiert an, wurden aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen, dürfen nicht raus aus dem Gelände und haben erst einmal keine Orientierung, keine Perspektive für sich.“
Einen Freiraum für Heranwachsende, in dem sie sich kreativ und künstlerisch ausdrücken sowie ihren Charakter stärken können, wollen sie ermöglichen. Gerade für benachteiligte Jugendliche bietet sich hier die Chance, Selbstbewusstsein aufzubauen. Da Skaterparks oft in „Do it yourself“-Methode erschaffen werden, können auch handwerkliche Fähigkeiten eingebracht bzw. erlernt werden. Skateboarding als etwas andere Art einer berufsvorbereitenden Maßnahme.
Ein wichtiges Anliegen ist den engagierten Skater*innen auch die Genderfrage. Immer noch ist dieser Sport männlich dominiert. Mehr Mädchen die Teilnahme zu ermöglichen ist somit erklärtes Ziel von Pigeon Plan.
Die Wurzeln seines Engagements liegen für Taubert einige Tausend Kilometer südlicher. In Südafrika. Beruflich und privat war er immer wieder in dem Land, bekam hautnah und sehr eindrücklich mit, was es selbst heute noch bedeutet, weiß oder schwarz, arm oder reich in dem ehemaligen Apartheidstaat zu sein. „Ich wollte was unternehmen. Ich war Profi-Skater, was lag da also näher, als genau damit anzufangen? Er rief seine Community in Deutschland auf, alte Boards zu spenden, die er dann in Südafrika mithilfe von einheimischen Freunden an verschiedene Institutionen verteilen wollte. Die Unterstützung in Deutschland war, so sagt der Kieler, überwältigend: „Wir bekamen viermal so viele Boards, wie wir eigentlich haben wollten!“
So konnte Pigeon Plan 2015 100 Skateboards nach Südafrika verschiffen und in Kapstadt, Durbanville und Plettenberg Bay an ein Kinderheim, ein Jugendzentrum, eine Grundschule und ein drop-in center (Anmerk. der Red.: In diesem Falle ist damit eine Mischung aus Jugendtreff und Suppenküche gemeint, die vor allem Kinder und Jugendliche aus den Townshops tagsüber einen sicheren Ort bietet) verteilen. Die Idee war, neben der Vermittlung von technischen Fähigkeiten, den Kids während einwöchiger Workshops auch ein besseres Selbstwertgefühl zu vermitteln sowie auch Mädchen zu ermutigen, teilzunehmen. Geplant war ein Aufbau nachhaltiger Strukturen, die perspektivisch auch Arbeitsplätze hätten schaffen sollen.
„Wir bauten zusammen Rampen, installierten Verleihstationen für die Boards und hofften, so etwas Nachhaltiges geschaffen zu haben.“ Doch zurück in Deutschland, bröckelte langsam, aber sicher der Kontakt. Heute, sagt er bedauernd, weiß er nicht, was aus dem Projekt geworden ist.
Diese Erfahrung warf bei Taubert recht schnell die selbstkritische Frage auf, inwieweit es wirklich sinnvoll sein kann, „Dinge“ von Europa in den Globalen Süden zu bringen, ohne vor Ort feste Strukturen vorzufinden, die dann das Projekt betreuen wollen und können. Werden da nicht wieder alte koloniale Strukturen bedient? Ist es nicht sinnvoll, sich hier in Deutschland, in Schleswig-Holstein zu engagieren?
Als vor allem wegen des Krieges in Syrien die Zahl der Geflüchteten 2015 ihren Höhepunkt erreichte, initiierte Pigeon Plan daher sein neues Projekt in Kiel. Während viele Globale Partnerschaften dadurch geprägt sind, dass Engagierte aus Deutschland mit Partnern im Globalen Süden verbunden sind, machten sie es sich zunutze, dass hier die globalen Partner*innen bereits im Land sind. Und statt mit zivilgesellschaftlichen Institutionen im Ausland zusammenzuarbeiten, war ihre Zielgruppe der lose, zufällig und zeitlich begrenzte Zusammenschluss von Kindern und Jugendlichen, wie er in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende vorzufinden ist.
Aus ihrer Skateboard-Sammelaktion für Südafrika hatte der Verein noch 300 Boards über. Diese kamen nun im Schusterkrug zum Einsatz. Gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen der Gemeinschaftsunterkunft wurden die Boards farbenfroh aufgepeppt und Rampen gebaut. Nach und nach etablierte sich der Skaterpark auch als Dreh- und Angelpunkt der Kieler Skateboard-Szene, und so nutzt nun eine internationale Gemeinschaft die Anlage. „Durch diesen Kontakt und den Austausch über ein gemeinsames Medium ermöglichen wir den Kids neue Sichtweisen, interkulturelle Unterschiede begreifen zu lernen und etwas Neues daraus entstehen zu lassen“, ist Taubert überzeugt.
Die wöchentlich stattfindenden „Skateboard-Challenges“, Mitmachkurse und gemeinsamen Baustunden machen nicht nur Spaß und wecken Leidenschaft, sie fördern zudem das Empowerment der geflüchteten Kinder und Jugendlichen.
Und hier schließt sich der Kreis zu den Jugendtreffs in Kiel. Auch hier ist die Beziehung zwischen den Jugendlichen geprägt durch gemeinsames Gestalten und Umsetzen. „Und Spaß haben ist dabei unendlich wichtig“, sagt Jennyfer Kock. „Nur so ist Lernen möglich, Spaß nimmt auch Angst und Unsicherheit. Mit Spaß wird es viel einfacher, die andere Kultur kennenzulernen und gemeinsam einen Umgang miteinander zu finden.“
Denn darum geht bei dem Projekt. Dazu bedarf es natürlich auch eines gewissen Spielraums für eigene Ideen seitens der mitmachenden Jugendlichen. Etwas, was in den Jugendtreffs durchaus erwünscht und gefördert wird. „Das Antragsverfahren für ein weltwärts-Begegnungsprojekt aber lässt dies so gut wie nicht zu“, bedauert Kock. Gleichzeitig freut sie sich aber auch, dass sich wieder einige Jugendliche auf etwas einlassen wollen, „was im ersten Moment unerwartet und ungewohnt ist, aber dann auch auf eine Art wunderbar funktioniert“: auf ein, wie sie es beschreibt, „Abenteuer voller wertvoller Momente“.
Sie arbeiten auch in einem Jugendtreff in Schleswig-Holstein und finden die Idee der internationalen Jugendbegnung auch für Ihre Einrichtung spannend? Wir sagen Ihnen gerne, wie es konkret geht.
Chiara Dickmann