Gegen das Vergessen
Der Kieler Flandernbunker als Mahnmal, Museum und Raum für Erinnerungsarbeit
Text: Benjamin Hellwig
Fotos: Fridtjof Stechmann und Benjamin Hellwig
Hinter der markanten Fassade des Kieler Flandernbunkers fördert der Verein „Mahnmal Kilian“ die gesellschaftliche Aufarbeitung von Themen des Zweiten Weltkrieges. Schulklassen, Jugendgruppen, Bundeswehrsoldaten, Touristen und Unternehmen diskutieren in der historischen Kriegsruine über vergangene und aktuelle Konfliktherde. Ziel des Vereins: Wissen zu erhalten und aus Geschichte und Gegenwart für eine friedliche Zukunft zu lernen.
Mehr als 200 größere und kleinere Bunker prägten zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs das Stadtbild Kiels. Nur wenige davon sind heute noch erhalten. Einer von ihnen ist der Flandernbunker am nördlichen Ende der Kiellinie unweit der Förde. Wer sich dem einstigen Schutzbau nähert, erkennt die Zeichen der Zeit. Mehr als siebzig Jahre nach Kriegsende sind die zweieinhalb Meter dicken Betonwände von weißen, mineralischen Ausblühungen überzogen. Auf einigen Flächen ranken riesige Efeugewächse. Langgezogene Fenster durchbrechen auf ungewöhnliche Weise den Blick auf die nüchterne, authentische Fassade des mächtigen Betonwürfels. Tropfstein wächst vom Dach vor dem Eingang.
An der schweren, rostigen Stahltür steht auf einem Schild: „Bitte öffnen, wir sind hier“. Seit mehr als 17 Jahren setzt sich der Verein „Mahnmal Kilian“ dafür ein, den Flandernbunker zu erhalten. Das Bauwerk, das als historischer Beleg für die Zeit der Bombenkriege und Greueltaten des Faschismus steht, erfährt hier durch das Engagement der Vereinsmitglieder und durch die Besucher des Bunkers eine Umwidmung. Es ist heute ein öffentlich zugänglicher Ort der Erinnerung, Friedensförderung und Völkerverständigung.
„Wir brauchen als Gesellschaft den ehrlichen Umgang mit einer problematischen Geschichte.“
Im kalten, kargen Flur treffen wir auf Jens Rönnau. Der Journalist, Museumspädagoge, Kulturmanager und promovierte Kunsthistoriker ist erster Vorsitzender des Vereins. Er nimmt uns mit hinein ins Innere des Bunkers. „Wir sind hier an einem Erinnerungsort, der als außerschulische Stätte eine wichtige Bildungsaufgabe leistet“, sagt er. „Wir brauchen als Gesellschaft den ehrlichen Umgang mit einer problematischen Geschichte, und der ist hier möglich. Wir machen uns damit nicht kleiner, sondern größer – weil wir uns der Vergangenheit stellen und das Lernen für die Zukunft fördern.“
Durch das düstere Treppenhaus gelangen wir ins erste Stockwerk. Ein historischer Schriftzug auf der Wand erinnert daran, wer sich damals an diesem Ort aufhalten durfte: „Zutritt nur für Wehrmachtangehörige“, ist noch immer zu lesen. Sonnenlicht fällt hier und da durch die schroffen Öffnungen in Fassade und Dach, durchflutet einige Bereiche. Nach Kriegsende ließ das britische Militär diese großen Löcher sowie einige Zwischenwände herausbrechen, um den Bunker für militärische Zwecke unbrauchbar zu machen, berichtet Rönnau. Durch die heute verglasten Flächen können wir einen Blick auf die mächtigen Außenmauern werfen. Die oberste Decke misst eine Dicke von fast vier Metern.
„Wir sprechen Schüler individuell an und greifen gezielt Themen auf, die sie gerade in ihrem Unterricht behandeln.“
Zwischen großformatigen Fotografien begrüßt uns Henning Repetzky in einem der Ausstellungsräume im ersten Stock. Er ist ebenfalls promovierter Kunsthistoriker, zweiter Vorsitzender des Vereins und leitet die meisten Führungen im Flandernbunker. Für Schulklassen sei der Flandernbunker gut geeignet, um beispielsweise den Geschichtsunterricht einmal an einem historisch bedeutenden Ort durchzuführen, und nicht nur trocken im Klassenraum, meint Repetzky. Und Rönnau ergänzt: „Der Flandernbunker ist nicht irgendein Militärbunker. Hier hat am 7. Mai 1945 für den norddeutschen Raum die militärische Übergabe an die Briten stattgefunden.“
„Bei einer Führung ordnen wir zunächst von außen das Erscheinungsbild des Bunkers ein und erklären, wie er zu dem wurde, was er heute darstellt. Dann geht es hinein“, sagt Repetzky. Eine Anlaufstelle sei dort eine Ausstellung zum Zweiten Weltkrieg mit Fotografien aus dem Stadtarchiv und Zitaten von Zeitzeugen. „Die bietet eine gute Möglichkeit, um mit den Schülerinnen und Schülern zu diskutieren. Wir sprechen sie dabei individuell an und greifen gezielt auch Themen auf, die sie gerade in ihrem Unterricht behandeln.“ Früher seien bei den Führungen regelmäßig Zeitzeugen begleitend dabei gewesen. Dies sei heute aufgrund der großen Zeitspanne seit Kriegsende nur noch selten möglich. „Wir haben bei einigen Abendveranstaltungen für die Öffentlichkeit aber immer wieder Menschen hier, die von ihren eigenen Kriegserfahrungen erzählen können“, berichtet Repetzky.
Ein weiterer Baustein des Vereins sind Workshops, die insbesondere für Schulen und Jugendgruppen angeboten werden. Kleingruppen entwickeln darin beispielsweise zu historischen Bildern fiktive Geschichten, die sie der eigenen Gruppe vortragen. In der Regel komme auch hier ein Zeitzeuge hinzu, der die eigene Lebensperspektive hineinträgt, erläutert Rönnau. „Zum Abschluss arbeiten die Teilnehmer daran, mit welcher Botschaft sie den Bunker wieder verlassen.“
Im Bunker lernen
Die Bildungsangebote des Vereins richten sich an Schulklassen, Jugendgruppen und Erwachsene. Sie umfassen Workshops, Führungen und Ausstellungen. Daneben finden Vorträge, Diskussionsveranstaltungen, Lesungen, Film- und Theatervorführungen, Tagesseminare, Symposien, Projektwochen für Schulklassen und andere Gruppen statt. Zudem gibt es Angebote zur praktischen Arbeit in Auffindung, Dokumentation und Erhaltung historischer Orte. Die Räumlichkeiten können darüber hinaus auch anderen Nutzer und Institutionen mit konzeptionell passenden Themen überlassen werden.
Monatliche Führungen zur deutschen und Kieler Kriegsgeschichte, teilweise mit Zeitzeugen, finden jeden ersten Sonntag im Monat (außer im Januar) jeweils um 11.30 Uhr statt. Eine Anmeldung ist nur für größere Gruppen nötig. Individuelle Sondertermine sind möglich.
Im Anschluss an die monatlichen Führungen können unter anderem die aktuellen Ausstellungen „Bunker, Bomben, Menschen“, „Der Erste Weltkrieg“ sowie „Blickwechsel - Gefangene hier, Gefangene dort“ besucht werden.
Kontakt und Preise
Mahnmal Kilian e.V.
Flandernbunker
Kiellinie 249
24106 Kiel
Telefon: 0431/2606309
E-Mail: info@kriegszeugen.de
www.mahnmalkilian.de
Eintritt: 4 Euro, ermäßigt sowie für Gruppen ab 10 Personen: 3 Euro/Person (Führungen zzgl. 2 Euro) Fördermitglieder des Vereins „Mahnmal Kilian e.V.“ können kostenfrei teilnehmen.
Neben der Aufarbeitung der Geschichte zusammen mit Besuchern des Flandernbunkers stehen für den Verein auch Diskurse über aktuelle Konfliktherde in der Welt im Fokus. Regelmäßig kämen im Rahmen der politischen Bildung Bundeswehrgruppen zu Besuch, mit denen ein solcher Austausch gut möglich sei, meint Repetzky. Die entstehenden Gespräche über Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan oder am Horn von Afrika empfinde er als spannend. „Wir erleben hier, dass in diesen Gruppen durchaus kritisches Potential vorhanden ist, auch bei Offizieren. Das ist ein Aspekt, der sich von den Zuständen beispielsweise in der kaiserlichen Armee vollkommen unterscheidet. Man kann im Gegensatz zu damals heute offen und demokratisch denken, auch kontrovers. Das finde ich gut. Und wir bieten hier ein geeignetes Forum, um dies zu tun“, meint der 59-Jährige.
Die Sonne steht inzwischen tief und hüllt Teile der Bunkerräume, in denen auch Installationen von Künstlern Platz einnehmen, in ein warmes Licht. Als sich Repetzky in den Feierabend verabschiedet, berichtet Rönnau von der Bedeutung einer umfangreichen Kooperation mit der fußläufig entfernten Hebbelschule sowie dem Offenen Kanal Kiel. Für ein Großprojekt zum Thema „Flucht 1945“ begegneten die Schüler Zeitzeugen und lernten Aspekte wie Interviewführung, Kamera- und Beleuchtungstechnik sowie Filmschnitt. „Es gab hohe Anforderungen an alle Beteiligten, und wir können heute sagen, dass das Projekt ein Paradebeispiel positiver Arbeit war. Die fertigen 10-Minuten-Filme liefen im Anschluss auf Videosäulen hier bei uns im Flandernbunker, integriert in unsere Ausstellung „Bunker, Bomben, Menschen.“ Derartige Bildungsbausteine sollen auch zukünftig möglich sein, wünscht sich Rönnau. Dafür aber sei es notwendig, die vorwiegend ehrenamtliche Arbeit des Vereins mit der Förderung von Personalstellen zu unterstützen. „Wir streben eine Teilprofessionalisierung an. Die Stadt stellt bereits Mittel zur Verfügung, das erhoffen wir uns auch vom Land. Unser Ziel ist es, jemanden für den Bereich Bildung beschäftigen zu können. Und wir hoffen, dass uns das Bildungsministerium dazu personell in die Lage versetzt“, sagt Rönnau. Er weiß wovon er spricht. Alleine für den Verein setzt er sich seit mehr als 22 Jahren ehrenamtlich ein – durchschnittlich mit mehr als 40 Wochenstunden.
„Es ist ein Meilenstein für uns, dass uns ein Patchwork der Gesellschaft trägt.“
Zum Abschluss unseres Gangs durch den Flandernbunker betont Rönnau die breite Unterstützung, die der Verein erhalte. „Es ist ein Meilenstein für uns, dass uns ein Patchwork der Gesellschaft trägt. Dazu gehören auch geschenkte Arbeitsleistungen und Materialien wie beim Sanieren der Kanalisation oder dem Einsetzen der Fenster von Unternehmen aus Kiel und Umgebung“, sagt er. Der Verein spüre darüber hinaus, dass das Angebot abgerufen und gewollt sei. Die Anfragen von Schulen, Gruppen, Touristen, Soldaten und manchmal auch Unternehmen zeigten dies.
Anerkennung für das Engagement des Vereins kam unlängst auch auf anderer Ebene: Nach dem Deutschen Preis für Denkmalschutz 1999 und der Andreas-Gayk-Medaille 2014 erhielt Rönnau im November 2017 das Bundesverdienstkreuz am Bande. „Diese Preise sind eine Anerkennung für alle Menschen, die hier im Verein tätig sind“, kommentiert er. Und ergänzt abschließend gleich darauf einen Zukunftsgedanken, der zeigt, dass der Verein nicht still sitzt: „Unweit von hier wurden im ehemaligen Marine-Untersuchungsgefängnis Matrosenaufständler eingesperrt, davor demonstrierten 1918 ihre Kameraden. In den 1930-er Jahren wurde dieser kaiserliche Gefängnisbau von den Nazis erheblich vergrößert, die Zellenanzahl verdoppelt. Damals saßen vermutlich hunderte deutsche Marinesoldaten als Todeskandidaten in den Zellen, weil sie Hitlers System kritisch sahen“, sagt er. Aktuell werde diskutiert, das Gebäude als Museum und weiteren Denkort einzurichten, als ein „Haus der Demokratie“. Damit würde Kiel einen weiteren zukunftsweisenden Lernort erhalten, mit dem wichtige Bildungsarbeit möglich wäre. „Ich denke, der Flandernbunker und dieses Haus der dunklen deutschen Geschichte könnten zukünftig eine Einheit bilden – im kritischen Diskurs der Gesellschaft für eine friedliche Welt.“