Nachgefragt

Im Angesicht des Klimawandels

Ein Gespräch mit Arktisexperte Arved Fuchs

Interview: Benjamin Hellwig
Fotos: Arved Fuchs Expeditionen

Expedition „Grönland Nordost“: Die Crew der Dagmar Aaen setzte eine Funkboje auf einer kompakten Eisscholle aus, um die Drift der Eisfelder nachzuvollziehen

Seit 40 Jahren zieht es Arved Fuchs in die abgeschiedenen Gegenden der Erde.
Der Polarfahrer und Expeditionsleiter aus Bad Bramstedt berichtet im Interview über Warnsignale aus der Arktis, Sorgen auf Pellworm und Hoffnungsschimmer im Kampf gegen Ursachen des Klimawandels.

Herr Fuchs, seit 1977 brechen Sie regelmäßig zu Polarexpeditionen auf. Was brachte Sie dazu, zum Thema Klimawandel zu recherchieren?

Arved Fuchs an Bord der Dagmar Aaen, einem zum Expeditionsschiff umgebauten Haikutter.

Dass wir das Klima verändern, habe ich mir lange nicht vorstellen können. Als wir 2002 mit unserem Schiff Dagmar Aaen problemlos den sibirischen Seeweg durchfahren konnten – nach drei im Eis gescheiterten Versuchen in den 1990-er-Jahren – wurde ich stutzig. Ich fragte mich nach dieser subjektiven Feststellung: Ist das eine Laune der Natur oder eine Entwicklung? Als daraufhin auch die Fahrt durch die Nordwestpassage gelang, war für mich dieses Thema so gegenwärtig, dass ich mich mehr damit auseinandersetzen wollte und musste. Und sah mich in der Pflicht eines Zeitzeugen, darüber zu berichten.

Fast einmal im Jahr sind Sie in der Arktis. Welche Warnsignale haben Sie im Laufe der Zeit beobachten können?

1993 sind wir ins grönländische Thule gefahren. In der Baffin Bay lag im Sommer das sogenannte Middle Pack, ein riesiges Eisfeld. Wir mussten uns an der Küste entlanghangeln. 2009 dagegen war das Eisfeld weg. Das Meer hat zu viel Energie gespeichert, ist zu warm. Orte in Alaska, wie etwa Point Barrow, Shishmaref oder Kivalina sind bedroht, da der Permafrostboden dauerhaft auftaut und danach starke Küstenerosion eintritt. Ich könnte etliche solcher Beispiele nennen. Die geringe Eisausdehnung und Eisdicke des arktischen Ozeans sind alarmierend, eine Nordpolexpedition zu Fuß, wie wir sie 1989 gemacht haben, ist heute nicht mehr möglich.

Eine Nordpolexpedition zu Fuß, wie wir sie 1989 gemacht haben, ist heute nicht mehr möglich.

Arved Fuchs

Was haben Sie aus Gesprächen mit der indigenen Bevölkerung zu dem Thema erfahren können?

Im grönländischen Norden haben wir Winterexpeditionen unternommen und dabei Jäger getroffen, die nicht mehr in ihre Jagdgründe kamen, weil das Eis nicht mehr trägt oder schlicht nicht mehr da ist. Als wir das letzte Mal in Grise Fiord waren, der nördlichsten kanadischen Siedlung auf Ellesmere Island, gab es dort Überschwemmungen. Die Gegend ist eigentlich als Wüste klassifiziert. Wir sprachen dort mit einheimischen Freunden, die uns von Gewittern berichteten, von verheerenden Regenfällen und Bergrutschen. Wettergeschehen, die man dort vorher nicht kannte. Zudem gab es auf einmal Moskitos. In Alaska hörten wir von Bewohnern, dass plötzlich Insekten ihre Larven und Eier in traditionell an der Luft trocknendes Fleisch ablegen. Der Klimawandel bedroht das kulturelle Umfeld der in der Arktis lebenden Menschen auf vielerlei Art.

Expedition „Nordpoldämmerung“: Im Fahrwasser der Wikinger von Grönland nach Kanada.

Wie begleiten Wissenschaftler Ihre Expeditionen, sind sie mit an Bord?

Ich selbst bin kein Wissenschaftler, stehe aber mit vielen in engem Kontakt. Wir haben regelmäßig Forscher an Bord, wie zuletzt, als wir bis Spitzbergen auf 83 Grad Nord fahren mussten, bis wir überhaupt auf das erste Eis trafen. Ich bringe sie dort hin, biete ihnen die Arbeitsplattform und setze den Sicherheitsrahmen, der für ihre Arbeit erforderlich ist.

Klimawandel manifestiert sich nicht dadurch, dass wir hier an der Ostsee unter Palmen sitzen können.

Arved Fuchs

Der Umfang des See-Eises war zuletzt auf einem absoluten Niedrigstand, sowohl in der Arktis als auch in der Antarktis. Warum bezeichnet man die Region als Frühwarnsystem?

Verändertes Ökosystem: Der Rückgang des Eises bedroht die Eisbärpopulationen.

Die Arktis erwärmt sich gerade doppelt so schnell wie der Rest der Welt. Dort passiert es zuerst. Diese Beispiele in der Arktis lassen sich darstellen, weil es ein kleiner, überschaubarer Rahmen ist. Der Klimawandel macht dort oben aber keineswegs Halt. Wie gehe ich mit den Bedrohungen durch den steigenden Meeresspiegel im bevölkerungsreichen Bangladesch um? Auch die aktuellen Dürren in Afrika resultieren aller Voraussicht nach aus dem Klimawandel. Er hat Auswirkungen auf die ganze Welt. Im letzten Jahrhundert ist der durchschnittliche Meeresspiegel um 20 Zentimeter gestiegen. In diesem Jahrhundert, so mutmaßt man, wird er um einen Meter ansteigen. Ich habe neulich auf Pellworm einen Vortrag gehalten. Die niedrigste Stelle der nordfriesischen Insel, die komplett eingedeicht ist, liegt einen Meter unter dem jetzigen Meeresspiegel. Man hörte mir mit großem Interesse zu, als diese Zahlen fielen. Denn so weit ist das Problem nicht weg. Die Flutschutzmaßnahmen, die gerade im Hamburger Hafen ergriffen werden, die Erhöhung der Deichkronen in Niedersachsen und Bremen, das alles sind Handlungen, die eine klare Sprache sprechen.

Das Unmögliche möglich zu machen, ist ein Motto auf vielen Ihrer Expeditionen. Welche Signale geben Ihnen Hoffnung, dass die Ursachen des Klimawandels tatsächlich bekämpft werden?

Während Trump fabuliert, der Klimawandel sei ein chinesisches Märchen, um die amerikanische Wirtschaft zu schwächen, ist es bemerkenswert, dass China sagt, es wolle weg von der Kohle. Sie haben auf der Klimakonferenz in Marrakesch den Schulterschluss mit 46 anderen Ländern gesucht und festgestellt: Wenn die USA nicht mitziehen, machen wir es eben ohne sie. Das hätte es vor ein paar Jahren noch nicht gegeben. Ich denke, so langsam setzt sich das Verständnis durch, dass sich Klimawandel nicht dadurch manifestiert, dass wir hier an der Ostsee unter Palmen sitzen können. Veränderungen wie Naturkatastrophen, Überschwemmungen und Hochwasser sind nicht in unserem Interesse.

Sie veranstalten zusammen mit einigen Freunden und Kollegen seit zehn Jahren das I.C.E. (Ice Climate Education) Klimacamp. Was steckt dahinter und was ist für dieses Jahr geplant?

Alltagsproblem Global Warming: Das klimabedingte Auftauen der Permafrostböden bedroht ganze Siedlungen in der Arktis.

Wir haben ein Segelschiff gechartert, auf dem wir zusammen mit Schülerinnen und Schülern aus der ganzen Welt bis zu zwölf Tage auf der Ostsee unterwegs sein werden. Wissenschaftler werden an Bord Vorträge halten. Neben dem Klimawandel wird es auch um Themen wie Plastik im Ozean und Fischerei gehen. Und es wird eine virtuelle Klimakonferenz geben. Die Jugendlichen werden dabei zu Multiplikatoren dieser Themen. Es ist spannend zu erleben, wie ein junger Mensch aus Grönland auf einen aus Namibia trifft und sie sich über ihre ganz persönlichen Wahrnehmungen des Klimawandels austauschen.

Wohin geht die nächste Reise?

Viel kann ich noch nicht verraten, aber nach Übersee geht es erst wieder 2018. Wir werden uns dieses Jahr im Ostseeraum aufhalten. Darauf freue ich mich!

 

Weitere Infos unter www.arved-fuchs.de

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