Dialog

Agroforstwirtschaft als neues Modell für Schleswig-Holstein?

Lea leitet im Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein das Modul "Landwirtschaft" im Projekt SDG auf dem Prüfstand

Text: Lea Kleymann

Feld oder Wald? Eine gut durchdachte Kombination von Gehölzen und landwirtschaftlichen oder gärtnerischen Kulturen und / oder mit der Haltung von Nutztieren bringt zahlreiche Vorteile.

Mit zwei sehr intensiven, geschlossenen Veranstaltungen gelang es den Teilnehmenden des Austauschforums „Agroforstwirtschaft lokal & global – Perspektiven in Tansania & Schleswig-Holstein (SH)“ (in Kooperation mit Brot für die Welt im Diakonischen Werk Schleswig-Holstein), Einblicke in die Landwirtschaft in Tansania und Schleswig-Holstein zu erlangen. Was heißt es, Landwirt*in im Globalen Süden bzw. Norden zu sein? Welchen Herausforderungen muss sich die Weltengemeinschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten stellen, damit wir eine nachhaltige, ressourcenschonende, ökologische und effiziente Landwirtschaft betreiben können?

Ein Austausch über Alternativen, wie z.B. über die Agroforstwirtschaft oder Agrarökologie, sind sehr wichtig, um nicht nur für sich Vorteile zu generieren, sondern eine Diversität in der Landbewirtschaftung zu schaffen – und zwar global!

„Deutschland ist ein Entwicklungsland, was alternative Anbautechniken wie die Agroforstwirtschaft betrifft.“

Philipp Weckenbrock, Uni Gießen- Forschungsschwerpunkt Agroforst

Im September und Oktober fand der interne Austausch zum Thema Agroforstwirtschaft zwischen landwirtschaftlichen Akteur*innen aus dem Globalen Süden und Norden statt. Aufgrund der kleinen Runde von fünf (1.Sitzung) und acht Teilnehmenden (2.Sitzung) war der Austausch und das Kennenlernen sehr intensiv und ließ Raum für Fragen an und Erzählungen der einzelnen Akteur*innen.

Der interkulturelle Austausch, der durch den Moderator Dr. Harrison Kalunga Mwilima und die Dolmetscherin Anke Glaser noch verstärkt wurde, war dynamisch und aktiv. Alleine die Wahl der Moderationssprache Suaheli hat dazu geführt, dass sich die tansanischen Teilnehmenden bestens verständigen konnten und eine Unterhaltung auf Augenhöhe stattfand. Durch das Einbringen eigener Erfahrungen von Dr. Mwilima und des dadurch aufgebauten Vertrauens bekamen alle Teilnehmenden Einblicke in die tansanische und schleswig-holsteinische landwirtschaftliche Praxis.

Schnell wurde klar, dass alle landwirtschaftlichen Akteur*innen mit denselben Herausforderungen und Problemen zu kämpfen haben: Wasser- und Winderosion, Bodendegradierung und wechselnde lange Trockenperiode mit extremen Niederschlägen erlebten alle Teilnehmenden in den letzten Jahren häufiger. Hier setzt die Agroforstwirtschaft an, die einen Anbau vorschlägt, der aus mehreren auf einem Schlag stehenden Pflanzen- und Baumarten besteht. Die Ökosystemdienstleistungen von Agroforstsystemen sind nicht zu unterschätzen; besonders hervorzuheben ist der Erosionsschutz und die Eindämmung einer Versteppung und Wüstenbildung.(Quelle: Schulz, V., Weisenburger, S., Butz, A. (2016): Auswirkungen von Beschattung durch Agroforst auf landwirtschaftlichen Kulturen. Tagungsband: Bäume in der Land(wirt)schaft – von der Theorie in die Praxis. S. 132-137. ISBN 978-3-940471-27-7)

In Deutschland, gerade in SH, werden Agroforstsysteme von nur wenigen Landwirt*innen praktiziert. Große Skepsis birgt die praktische Umsetzung von Baumreihen auf einer Ackerfläche, die Wasser- und Nährstoffkonkurrenz der Gehölze mit den Ackerfrüchten und die fehlende Förderung auf Landes- und Bundesebene.

Während der Abschlussveranstaltung unseres Forums Ende November haben wir diese Problematiken mit Politiker*innen, Vertreter*innen vom Bauernverband SH (BV SH) und dem Deutschen Fachverband für Agroforstwirtschaft (DeFAF) sowie Praktiker*innen und der Zivilgesellschaft besprochen. Mit der Frage, inwieweit Agroforstwirtschaft in der zukünftigen Legislaturperiode entlohnt werden würde und welche Erwartungen mit dem Koalitionsvertrag nicht erfüllt wurden, starteten wir in die Diskussion. Heinrich Terwitte vom MELUND sowie Kerstin Metzner von der SPD konnten wenig Hoffnung auf eine baldige rentablen Förderung für Agroforstsysteme in SH machen. Es lägen noch keine geplanten Fördermaßnahmen für Agroforstsysteme vor, zudem müssten bürokratische Kosten und Nutzen abgewogen werden.

„Ein System wie die Agroforstwirtschaft wird in SH nicht wettbewerbsfähig, sondern eher ein „Orchideenthema“ während der Landtagswahl 2022 sein.“

Heinrich Terwitte, Landwirtschaftsministerium

Die Frage nach einer angemessenen Vergütung des Mehraufwands ist demnach aktueller denn je. Die Idee einer CO2-Bepreisung der Landwirtschaft, die Anreize schafft, CO2-Senken für Landwirt*innen lukrativ umzusetzen, wurde lebhaft diskutiert. Durch eine Bindung von CO2 in der Landwirtschaft (z.B. durch die Bäume von Agroforstsystemen) könnten Landwirt*innen Zertifikate erhalten und verkaufen, was zu einer Einkommenssteigerung führen würde, so die Theorie. Auch die Landnutzung und Pachtsituation ist problematisch zu sehen, wenn Landwirt*innen die Ackerfläche langfristig verändern. Land als endliche Ressource ist umkämpft. Vielen Landwirt*innen in SH gehört nur ein Bruchteil der Fläche, die sie bewirtschaften. Dieser Umstand macht eine erweiterte Nutzung durch Agroforstsysteme schwierig.

In einer Videobotschaft machte der tansanischen Landwirt Wilbard Mwinuka während der Abschlussveranstaltung deutlich, dass wir nicht nur unser eigenes Süppchen kochen, sondern in einer Weltengemeinschaft leben. Mwinuka ist Vorsitzender der lokalen NGO PADECO (Participatory Development Concern), die sich in der Njombe Region für Gesundheit, Wasserversorgung und Environmental Conservation engagiert. "Wir sind voneinander abhängig und können durch Austausch und Wissenstransfer voneinander lernen." Zukünftig sei es notwendig zu einer Landwirtschaft zu gelangen, die mit der Natur arbeitet und gleichzeitig Erträge erntet, von denen Landwirt*innen leben können.

Aufklärungs- und Austauschformate wie unseres sind dabei hilfreich. Nichtsdestotrotz obliegen viel Macht und Verantwortung den Politiker*innen, die durch Förderungen oder eben keinen Förderungen die landwirtschaftliche Praxis bestimmen. Nicht nur im Hinblick auf die Einhaltung der SDGs bis 2030, sondern auch sich verschärfender Krisen, ist nun die Zeit zu handeln, Anreize zu schaffen und die Transformation der Landwirtschaft lokal wie global anzugehen!

Was ist  Agroforstwirtschaft

Mit dem Begriff Agroforstwirtschaft werden Landnutzungssysteme beschrieben, die eine Integration von verholzter Vegetation, Ackerfrüchten bzw. Vieh auf derselben Fläche aufweisen. Dazu zählt die Baumbepflanzung landwirtschaftlich genutzter Fläche, landwirtschaftliche Aktivitäten in einem bestehenden Wald und/oder Unternutzung einer Obstplantage.[i]

[i] Stadler-Kaulich, N. (2021): Dynamischer Agroforst Fruchtbarer Boden, gesunde Umwelt, reiche Ernte. Oekom Verlag. München.

Das Forum ist Teil des SDG-Jahresthemenprogramms „Die Sustainable Development Goals (SDG) in Schleswig-Holstein – Nachhaltigkeit auf dem Prüfstand“ des Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e.V. (BEI) in Kooperation mit Brot für die Welt im Diakonischen Werk Schleswig-Holstein und wird gefördert durch Engagement Global mit finanzieller Unterstützung des BMZ, Bingo! Die Umweltlotterie, dem Katholischen Fond sowie dem Kirchlichen Entwicklungsdienst der Nordkirche (KED).

Zurück