Lernort

Kreatives Dorf in der Stadt

Zu Besuch im AlteMu Impuls-Werk e.V. in Kiel

Text: Benjamin Hellwig

Wachsen lassen
Foto: Gunnar Dethlefsen - 3Komma3

Arbeiten, wohnen, leben und bilden mitten in Kiel: Die „Alte Mu“ ist ein Ort, an dem Impulse aus Sozialem, Ökologischem, Ökonomischem und Kulturellem aufeinandertreffen und verarbeitet werden. Auf 7.500 Quadratmetern stehen mehr als 60 Projekte wie Werkstätten, Start-ups oder Initiativen für zukunftsfähiges Handeln und die Weitergabe von Wissen.

Felix Pape / Thinkfarm Kiel
Foto: Gunnar Dethlefsen - 3Komma3

Am Kleinen Kiel entlang, den Lorentzendamm ostwärts, über den schmalen Pfad, der die Grünfläche quert, und schon ist man drin im „Kreativen Dorf in der Stadt“. „Es braucht diese Orte und Freiräume mitten in Kiel, an denen Leute zusammenkommen, um etwas entstehen zu lassen“, sagt Felix Pape zur Begrüßung. Wir treffen den 35-Jährigen am Beginn des schlauchartigen Innenhofs, der sich an den Eingangsbereich anschließt. Pape ist Mitbegründer des „Alte Mu Impuls-Werk e.V.“. Der Verein, der seit 2015 das frühere Gelände der Muthesius Kunsthochschule neu belebt und bespielt, ist inzwischen die gemeinsame Heimat von mehr als 60 verschiedenen Initiativen, Projekten und Start-ups.

Zwischen brach liegendem Gemüsehochbeet und verwaistem Glühweinstand blickt Pape zurück zu den Anfängen. Alles beginnt 2013 mit „Kieler Honig“. Der damalige Projektgründer Daniel Müller diskutiert mit dem Kanzler der Muthesius Kunsthochschule, Dirk Mirow, über mögliche Orte, an denen sie die Bienenbeuten für ihre Stadtimkerei bauen können. Mirow zeigt sich begeistert vom Projekt. Die Initiatoren wollen den erzeugten Honig als Medium für ihre Botschaft benutzen, Bürgerinnen und Bürger für ihre Stadtnatur und die Abhängigkeit von funktionierenden Ökosystemen zu sensibilisieren. Mirow stellt einen Werkstattraum zur Verfügung und bietet zudem an, zwei Beuten auf das Dach des neuen Gebäudes der Kunsthochschule zu stellen. Mit ein paar Freunden schrauben sie die Teile in der „Alten Mu“, wie jeder inzwischen sagt, zusammen.

„Wir hatten eine Mischung aus Schrebergarten und Wohnzimmer mitten in der Stadt.“

Felix Pape, Thinkfarm Kiel
Projekt entwickeln und gemeinsam lernen
Foto: AlteMu Impuls-Werk e.V.

„Dann kam der Sommer, und wir fingen an, draußen etwas Gemüse anzubauen, Sommerkino zu veranstalten, Freunde einzuladen. Wir hatten eine Mischung aus Schrebergarten und Wohnzimmer mitten in der Stadt“, sagt Pape. Immer mehr Leute helfen mit, verbringen Freizeit an dem Ort, völlig losgelöst von ökonomischen Interessen. Das Teilen von Fähigkeiten und Voneinanderlernen beginnt. Der eine kann den Beamer installieren, andere organisieren Boxen, bauen Sitzbänke. Die Muthesius Kunsthochschule kann ihre Gebäude zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz loslassen, nutzt noch zwei der Räume. Doch Platz gibt es genug, und das Modell „Kieler Honig“ macht Schule. Weitere Projekte wie die Initiative „Goldeimer“, die ihre Werkstatt zum Bau von Komposttoiletten beziehen, sowie das „Fahrradkinokombinat“ starten. Unkonventionell gibt es immer dann eine dreimonatige Nutzungsvereinbarung, nachdem die alte abgelaufen ist.

Als es unter den ersten vier, fünf Projekten „erstaunlicherweise noch keinen Austausch“ gibt, initiieren Pape und Müller eine Zusammenkunft, um „einfach mal darüber zu sprechen, was jeder an diesem Ort begeistert und was aus diesem Ort einmal werden könnte“, sagt Pape. Fortan treffen sich die Gruppen regelmäßig in einem Plenum, monatelang feilen sie an einer Struktur und daran, wie sie zu Entscheidungen kommen möchten. Basisdemokratie ist ein großes Thema. Die Gespräche und Diskussionen sind sehr intensiv, es werden mehrere Visionstreffen veranstaltet. Mitte 2015 stehen die Grundsätze und ein Leitbild, der Verein wird gegründet. Rund 15 Projekte sind zu diesem Zeitpunkt in der Alten Mu beheimatet.

Aus der Vogelperspektive
Foto: AlteMu Impuls-Werk e.V.

Wir gehen den Innenhof mit seinen angrenzenden Flachdachgebäuden nach hinten durch. In einem der Räume der „Thinkfarm“, einem Coworking-Space, den Pape hier 2016 ins Leben gerufen hat, findet gerade ein Workshop statt. In den angrenzenden Räumen haben 25 Menschen ihren Arbeitsplatz. Die Bandbreite ist vielfältig: Typograf, Doktorand, Filmproduzent. Auch die Menschen hinter „kulturgrenzenlos e.V. “, einem Tandemprojekt zwischen Studierenden und Geflüchteten, nutzen einen Schreibtisch. Sie alle können hier voneinander lernen und sich neben ihrer eigentlichen Arbeit gegenseitig unterstützen. Die Flächen sind nicht ökonomisch ausgerichtet, lediglich die Miete der Räumlichkeiten muss gedeckt sein. „Jeder und jede kann hier sitzen. Bedingung ist nur, wenn du hier öfter sitzt, musst du dir überlegen, was dein Beitrag für die Gemeinschaft ist“, sagt Pape. Das kann neben finanziellen Beiträgen auch sein, Workshops oder Ähnliches für andere zu leisten. „Du gelangst somit auch zu dem Gedanken, was du anderen von deinem Wissen mitgeben kannst.“

Alles, was über die Kostendeckung hinaus an Geld eingeht, fließt wiederum in die Gemeinschaft. Die Thinkfarm lädt sich von den Überschüssen immer wieder mal Speaker ein, die Wissen und Fähigkeiten einbringen, oder investiert in die Infrastruktur, von der alle profitieren.

„Es ist ein bisschen die Alte Mu in Klein, nur noch niedrigschwelliger“, kommentiert Pape. Auch in Berlin und Eberswalde gibt es Thinkfarms. Und auch unter ihnen gibt es Austausch und räumliches Teilen. Wer beispielsweise in Berlin einen Platz hat, kann in Kiel eine Zeit lang einen Platz bekommen und umgekehrt.

Aktuell ist die Alte Mu nahezu ausgelastet, es gibt ein paar wenige freie Räume. Im Leitbild ist verankert, dass jede und jeder willkommen ist und versucht wird, Platz zu finden, damit neue Menschen partizipieren können. „Normalerweise bedeutet ausgelastet, dass du gegen die Wand läufst und dir etwas anderes suchen musst. Wir aber tragen die Fragen an jedes Projekt: Schaffst du es, noch einen Arbeitsplatz mehr mit reinzunehmen, deinen Raum also zu teilen? Oder kannst du jemanden auf andere Weise mit einbinden?“, sagt Pape.

„Wir wollen Synergien auf verschiedensten Ebenen schaffen.“

Felix Pape, Thinkfarm Kiel

Die Aspekte Handeln, Lernen, Wissen, Weitergabe bilden Kreisläufe der Alten Mu, die sich immer wieder ergänzen. Der Kreislaufgedanke wirkt im Großen, spiegelt sich aber zudem auch in den einzelnen Projekten wider. Eine Webentwicklerin beispielsweise, die hier mit Kundenaufträgen Geld verdient, entwickelt fürs Gemeinwohl die Webseite für den Verein, Grafiker gestalten für Veranstaltungen des Vereins Poster. Wir wollen Synergien auf verschiedensten Ebenen schaffen“, sagt Pape.

Das Projekt "grünkultur" auf dem Gelände der Alten Mu
Foto: AlteMu Impuls-Werk e.V.

Auch innerhalb des Projekts „grünkultur“ sind Kreisläufe fester Bestandteil des Handelns. Ziel ist es, eine zeitgemäße und nachhaltige Gestaltung des Lebensraums Stadt zu fördern und soziale und ökologische Kreisläufe zu schließen. Als Garten-AG für das Gelände begonnen, laufen heute im Testcenter vor Ort die Versuche.

Daneben kümmern sich die Initiatoren um die Gartenflächen der Alten Mu. Über Bildungsangebote geben sie zudem ihr Wissen weiter. Die Prinzipien der Permakultur, nach denen nichts verschwendet wird und jeder mitmachen kann, sollen im Urbanen Raum einnehmen. Zudem planen die Menschen hinter dem Projekt den Aufbau einer Permakultur-Akademie.

Das Gelände der Alten Mu im Herzen von Kiel
Foto: AlteMu Impuls-Werk e.V.

Ins Auge fallen beim Durchgang durch den Innenhof zwei weitere Projekte. Die im Herbst 2018 gegründete Kieler Brauerei „lillebräu“ bietet über ihren in der Alten Mu angesiedelten „Brauklub“ interessierten Menschen von außen Gelegenheit zum Experimentieren. Einst hier angefangen, geben sie nun Expertise und Netzwerk weiter. Heim- und Hobbybrauer oder jene, die es werden wollen, kommen hier regelmäßig zusammen, um die Szene kennenzulernen, Wissen, Ressourcen und Produktionsmittel zu teilen und um das Thema Craft Beer nach außen zu tragen. Das Projekt sei ein schönes Beispiel dafür, dass hier nichts starr zu sehen sei, meint Pape: „Die Alte Mu kann Menschen die Zeit und den Raum geben, damit sie sich entwickeln können. Und manchmal werden die Projekte so groß, dass sie aus dem Kreativen Dorf in die Stadt oder in das Land gehen und dort als Wirtschaftsunternehmen agieren. Aber sie behalten die Verbindung zu dem Dorf, und Gemeinschaft und Gesellschaft profitieren von deren Know-how und werden gestärkt. Und auch die Stadt gewinnt: Die Alte Mu ist damit eine Art Inkubator für neue Projekte und wirtschaftlich agierende Unternehmen.“

Gemeinsam mit Holz arbeiten - Die Werk statt Konsum bietet auch
Workshops an
Foto: Anne-Lena Cords

Wir schauen zum Abschluss schräg gegenüber in die „Werk statt Konsum“. Hier in der offenen Holzwerkstatt können Interessierte Raum, Werkzeug, Material und Unterstützung zum Realisieren ihrer Holzbauprojekte erhalten und nutzen. Die kreative, handwerkliche Tätigkeit und der nachhaltige Umgang mit Ressourcen stehen im Mittelpunkt der „Mitmach-Werkstatt“. Reparieren, Re- und Upcycling, Sharing und gemeinsames Lernen richtet sich an Bürgerinnen und Bürger, Schulklassen und andere Gruppen. „Hier ist bereits ein Tiny House entstanden, alte Stühle von Oma und Opa wurden restauriert, Bienenkästen, Hochbeete und Vogelhäuser für den Garten gestaltet“, erinnert sich Pape.

Der Eingangsbereich der Alten Mu
Foto: Gunnar Dethlefsen - 3Komma3
Informieren, Teilen, Feiern - die Alte Mu ist offen für alle und bietet viele Möglichkeiten der Teilhabe. Foto: AlteMu Impuls-Werk e.V.

Die Vielfalt der Projekte und der Mitmachgedanke der Alten Mu ziehen immer wieder Besucher und Neugierige an. Neben den Angeboten der einzelnen Projekte finden regelmäßig Jahreszeitenfeste und Tage der Offenen Tür statt, die für alle offen sind. Die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen, ist fest verankertes Ziel, meint Pape. Die Alte Mu soll sich als besonderer Ort etablieren, an dem sich Menschen begegnen, voneinander lernen und miteinander teilen. Und von dem aus Impulse in die Gesellschaft gehen bzw. von ihr aufgegriffen und verarbeitet werden.

Um die Zukunftsfähigkeit des „Kreativen Dorfes“ zu gewährleisten, stehen die Menschen des Vereins immer wieder vor Herausforderungen. Um die Liegenschaft langfristig zu sichern, arbeiten die Beteiligten zusammen mit der Landesregierung an Lösungen, mit denen das Gelände vom Land erworben werden kann. Teil des Konzeptes wird es dann auch sein, Wohnen auf dem Gelände zu ermöglichen. „Wir möchten gerne Arbeit, Bildung, Kultur und Wohnen an einem Ort vereinen, weil es sich gegenseitig ergänzt", sagt Pape. „Menschen, die hier wohnen werden, verbinden mit dem Gelände etwas anderes als die, die hier arbeiten. Wenn diese Gruppen hier zusammenkommen, kann doch etwas Spannendes daraus entstehen.“ //

Die „Alte Mu“ und seine Projekte kennenlernen

Der „AlteMu Impuls-Werk e.V.“ bietet viele verschiedene Möglichkeiten zum Reinschnuppern. Unter www.altemu.de/events finden sich aktuelle Termine und Events.

  • Interessierte Schulen können sich beispielsweise an die offene Holzwerkstatt „Werk statt Konsum“ wenden, um an Workshops teilzunehmen. Weitere Infos: www.werkstattkonsum.de
  • Auch das Projekt „Kieler Honig“ veranstaltet Touren für Schulklassen. Weitere Infos: www.kieler-honig.de
  • Wer mit seiner Gruppe das Alte Mu Impuls-Werk als Ganzes kennenlernen möchte, kann unter info@altemu.de Führungen buchen.
  • Bei der Thinkfarm Kiel können sich Unternehmen und Organisationen für die Nutzung von Workshopräumlichkeiten oder für die Miete eines Schreibtischs melden: thinkfarm@altemu.de // 0176-24063282 (Felix Pape)

Kontakt:
ALTE MU Impuls – Werk e.V.
Lorentzendamm 6-8
24103 Kiel
www.altemu.de

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