Nachgefragt

Rassismuskritik macht Schule

Wie angehende Pädagog*innen anhand globaler Themen mehr über sich selbst lernen   

Texte, Reden, Bilder, Illustrationen: Lisa Waegerle und Inken Carstensen-Egwuom ist es wichtig, eine Vielfalt an Sichtweisen und Stimmen in die Vermittlungsarbeit aufzunehmen.

Interview: Janin Thies

Warum ist es wichtig, dass Grundschulpädagog*innen bereits in ihrer Ausbildung globale Themen reflektieren? 

Lisa Waegerle: Die Studierenden wissen, dass sie als Grundschullehrkräfte nach vier Jahren eine Empfehlung für die weiterführenden Schulen herausgeben. Im Modul haben wir beispielsweise Texte gelesen, die belegen, dass ein relativ hoher Prozentsatz an Kindern mit Migrationshintergrund sehr viel häufiger eine Empfehlung für die Haupt- oder Realschule bekamen und seltener für das Gymnasium. Den Studierenden ist bewusst, wow, wir haben da eine große Verantwortung. Sie wollen reflektieren, welche Rassismen haben wir, nach welchen Kriterien entscheiden wir, welche Schüler*innen später auf welche Schulen gehen sollten. 

Inken Carstensen-Egwuom: Wir in Flensburg haben einen sehr stark rassismuskritisch fundierten Fokus im großen Themenkomplex Globales Lernen herausgearbeitet. Wir fragen uns, wie sehr wir uns eigentlich mit uns selbst beschäftigen müssen, wenn wir irgendwann einmal Globales Lernen in die Grundschule bringen wollen. Es geht nicht um etwas Abstraktes da draußen in der Welt, sondern wir leben das Thema in bestimmter Weise und wir müssen uns mit unserem Anteil an dem Problem der Nicht-Nachhaltigkeit oder dem Problem Rassismus auseinandersetzen.   Ein zweiter Aspekt dazu ist, dass Kinder an Grundschulen noch nicht so festgefahren sind. Es gibt Momente, in denen sie über alles hinaussehen können. Mehr als wir uns das als Erwachsene vorstellen können. Für die Zukunftsgestaltung ist das eine Riesenchance, wenn das an Grundschulen gesehen und gefördert wird

Fällt Ihnen dazu ein Beispiel ein?

Inken Carstensen-Egwuom: Kinder in Grundschulen fragen ganz anders. Wir haben mit dem Buch „Bestimmt wird alles gut“ von Kirsten Boie gearbeitet. Darin wird die Geschichte einer Flucht erzählt, auf Deutsch und Arabisch. Da ist beschrieben, dass sie von Syrien nach Ägypten fliegen können und dann aber in dieses kleine Boot reinmüssen. Die Kinder sind dann völlig perplex. Wenn die doch nach Ägypten fliegen konnten, wieso nicht nach Deutschland? Das ist total unlogisch! Da habe ich gesehen, dass Kinder viel aufmerksamer für Widersprüche sind, wobei Erwachsene das schon normal finden.

Mit welchen didaktischen Mitteln im Modul wird diese Reflexion bei den zukünftigen Lehrkräften angeregt?

Lisa Waegerle: Beim letzten Seminar habe ich Radiobeiträge gemacht. Diese Methode habe ich in Chile erlernt, wo ich ein Jahr studiert habe und wir an der Uni gemeinsam Radiobeiträge gestaltet haben. Es hat Spaß gemacht, gemeinsam mit anderen auch sehr komplexes Wissen einfach darzustellen. Mir war ein Anliegen, damit eine andere Art von Austausch auch außerhalb der Uni anzuregen, und die Studierenden haben schon gemerkt, dass diese Methode etwas für ihren eigenen Unterricht sein könnte.

Wie genau sind Sie dabei vorgegangen?

Lisa Waegerle: Zu jeder thematischen Sitzung gab es zunächst einmal Texte. Daraus haben die Studierenden selbstständig Abschnitte herausgesucht, die sie besonders relevant fanden, und diese sollten sie dann sehr einfach darstellen. Ich hatte den Eindruck, dass es technisch zunächst eine Herausforderung war, aber am Ende war es gar nicht so. Es hat alles mit dem Smartphone geklappt. Das Wissen, dass die Beiträge nicht nur für die Uni sind, sondern veröffentlicht werden, diese dann auch meine Familie und meine Freunde hören können, das brachte schon eine Verantwortung mit sich. Deshalb wollten die Studierenden das auch richtig gut machen und hatten richtig Lust.

Damit sind Sie ja gerade am Puls der Zeit. Es gibt aktuell unzählige Podcasts. (lachen)

Inken Carstensen-Egwuom: Ja, und das war sogar noch vor Corona. Das ist natürlich auch gerade jetzt während der Online-Lehre ein Thema. Ich habe mir vorgenommen, auch mal einen Podcast oder Reden in den Seminaren zu verwenden. Mit Podcasts kann man spazieren gehen und muss nicht die ganze Zeit im Online-Seminar sitzen. 

Welche weiteren Methoden der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit stehen bereit?

Inken Carstensen-Egwuom: Wir arbeiten viel mit erfahrungsbasierten Methoden. Da geht es beispielsweise darum, sich im Raum zu positionieren oder Rollenspiele zu machen.

Lisa Waegerle: Ein ganz wichtiges Anliegen ist, nicht über andere Menschen zu reden, sondern sie selbst zu Wort kommen zu lassen, andere Stimmen zu hören. Wir haben oft einfach nur Beiträge laufen lassen, Interviews gezeigt oder Zitate vorgelesen. Zum Beispiel ein Interview mit der Kuratorin Imani Tafari-Ama, das in Flensborg Avis zur Ausstellung „Rum, Schweiß und Tränen“ im Schifffahrtsmuseum erschienen war. Das haben wir dann in verteilten Rollen gelesen, richtig auf dem Podium. Das war sehr eindrücklich, weil sich alle ganz anders mit den Positionen beschäftigen, als wenn wir das nur auf Papier lesen.

Gab es Entwicklungen und Erkenntnisse bei den Studierenden, die Sie überrascht haben?

Inken Carstensen-Egwuom: Eigentlich ist es jedes Jahr neu. Aber eine ganz wichtige Erkenntnis ist schon, dass die Auseinandersetzung mit den Themen nach so einem Seminar nicht zu Ende ist. Im letzten Jahr hat die Kollegin, die das letzte Modul macht, gesagt, dass sich die Studierenden einfach wieder treffen und weiterarbeiten wollten. Das war natürlich auch für uns unheimlich ermutigend und gab uns den Anlass, in diesem Jahr ein neues Angebot zu konstruieren. Die Theaterwissenschaftlerin Tania Meyer macht gemeinsam mit ihrer Kollegin ein Kolloquium zum Thema „ReflActing Racism – rassismuskritische Erkundungen in schulischen Räumen“, das sich an Studierende,aber auch Referendar*innen und Lehrkräfte an Schulen in Schleswig-Holstein richtet. Dort soll gemeinsam geschaut werden: Wie können wir das Thema globale Ungerechtigkeit, Rassismus in unserem Alltag unterbringen? Weil wir schon den Eindruck haben, dass es Vereinzelung gibt, dass es Leute gibt, die sich im Studium viel mit dem Themenfeld auseinandergesetzt haben, jedoch dann viele dringliche Dinge dazwischenkommen oder die Gemeinschaft vor Ort fehlt. Und diese Möglichkeit des Austausches wollen wir bieten. Da haben wir jetzt gerade die Chance, denn jeder weiß, wie Online-Treffen funktionieren. Niemand muss dazu extra zu uns nach Flensburg kommen

 

Bislang gehört „Globales Lernen“ nicht zum Standard in der Ausbildung von Lehrkräften, sondern ist eines von vielen Wahlmodulen. Sollte es obligatorisch sein?

Lisa Waegerle: Ich habe das Seminar bislang einmal durchgeführt und hatte das Gefühl, dass das Interesse groß ist und die Studierenden das Thema für sehr relevant halten. Viele sagen auch direkt, es sollte obligatorisch werden. 

Inken Carstensen-Egwuom: Wir beide finden es sehr wichtig, dass rassismuskritische Perspektiven, die Reflexion von Fragen der eigenen Positionierung und globaler Gerechtigkeit im Lehramtsstudium verpflichtend vorkommen, damit zukünftige Lehrkräfte gut auf ihre Aufgaben vorbereitet werden und Themen der Gestaltung von Gegenwart und Zukunft ganzheitlicher betrachten können.

Zum Abschluss ein kleines Wunschkonzert. Wie sieht denn die Schule in 20 Jahren im Hinblick auf „Globales Lernen“ aus?

Lisa Waegerle: Zentral finde ich, dass Personengruppen, die vielleicht nicht so ein hohes Niveau der deutschen Sprache haben, trotzdem unterrichten dürfen. Aktuell wird C2 benötigt, und das ist ziemlich schwierig. Das haben wir auch im Seminar besprochen, denn damit kommen die meisten Lehrkräfte eben aus Deutschland und aus dem Globalen Norden. So gibt es weniger die Möglichkeit, dass auch die Lehrkräfte sehr unterschiedlich sind und unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen mitbringen.

Inken Carstensen-Egwuom: Um solche Zugangsbarrieren aufzubrechen, sollte die Möglichkeit da sein, während der Tätigkeit als Lehrer*in die Sprache weiter zu perfektionieren und die Schwelle nicht am Anfang zu setzen wird. Denn C2 ist ja wirklich universitäres Sprachniveau ohne Fehler, und am besten noch ohne Akzent. Außerdem würde ich mir persönlich viel mehr schulische Räume wünschen, die ihren Fokus auf Empathie legen, statt darauf, zu funktionieren oder auswendig zu lernen. Dazu gehört für mich auch eine Art des Umgangs mit Kritik und Rückmeldungen seitens der Schüler*innen und der Elternschaft bezogen auf Diskriminierung und Rassismus. Das wäre ein großer Wunsch an die Institution Schule, die häufig darauf beharrt, dass bereits viel gemacht wird. Stattdessen könnte man flexibler sein und einfach noch besser werden wollen.

Die große Hoffnung ist auch, dass die Lehrer*innen, die sich gemeinsam mit anderen Erwachsenen mit globalen Themen auseinandergesetzt haben, sich auch von ihren Schüler*innen anders anregen lassen. Dass sie anders mit deren fundamentalen Fragen, ob nicht alles anders ginge, umgehen. Dass sie es nicht als Störung empfinden, sondern mit Freude darauf reagieren.

Perspektivwechsel im Unterricht

Das Beehive Collective aus den USA erzählt anhand eines 3 x 5 Meter großen Banners von Unterdrückung und imperialen Strukturen in Vergangenheit und Gegenwart. Gleichzeitig finden vielfältige Widerstandsformen Raum. Die Geschichte(n) sind übersetzt in weltweit verständliche, fabelartig gestaltete Motive, die als Bildungsmaterialien mit Creative Commons Lizenz zur Verfügung stehen.

Weiter Infos : https://beehivecollective.org/graphics-projects/mesoamerica-resiste/

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