Nachgefragt

Unverpackt: Wie befreien wir die Lieferketten vom Müll?

Autorin: Simone Ludewig

Was können wir tun gegen den vielen Verpackungsmüll? Allein 227,5 kg Plastik entsorgte jede*r Deutsche nur im Jahr 2019.

Und wer kennt es denn nicht? Kurz nach dem Einkauf, schon beim Einsortieren von Lebensmittel füllt sich der Müllsack mit Kartons, Folien, Schalen, Netzen… Einwegverpackung, die wir eher ungewollt mitkaufen, nur um sie wegzuschmeißen. Der Becher zum Kaffee to go und die Sushibox in der Mittagspause komm da noch oben drauf. Aber muss das eigentlich so sein?

Nein, muss es nicht, meinte Marie Delaperrière als sie 2014 ein neuartiges Geschäft für Lebensmittel, Hygiene- und Haushaltsprodukte eröffnet. Bei ihr kaufen Kund*innen nur das, was sie auch tatsächlich brauchen: Keine Verpackungsmaterialien und keine festen Verkaufsmengen, die dazu führen, dass Produkte verderben und weggeschmissen werden. Lose, nachhaltig und gut lautet das Motto ihres unverpackt-Ladens in Kiel – der erste seiner Art in Deutschland.

Mit sechs Rs gegen die Müllberge

Der erste deutsche unverpackt-Laden findet sich in Kiel

Das Konzept orientiert sich an sechs einfachen Prinzipien im Umgang mit Verpackungsmaterial – den sechs Rs: Rethink!, Refuse! Reduce!Reuse! Recycle! Rott! (zu Deutsch: Umdenken, Ablehnen, Reduzieren, Wiederverwenden! Recyceln! Der Rest wird kompostiert (Biologisch Abbauen!)) Schnell entwickelte sich aus dem ersten deutschen unverpackt-Laden eine Bewegung. Gründer*innen in der ganzen Republik griffen Delaperrières Idee auf. Mittlerweile gibt es mehr als 400 Geschäfte nach diesem Vorbild. Selbst in einigen konventionellen Supermärkten gibt es schon unverpackt-Abteilungen zum Selbstabfüllen.

Das Interesse an Ihrer Idee sei von Anfang an groß gewesen, so Delaperrière. Neben dem Laden betreibt sie deshalb seit 2020 inzwischen die Unverpacktakademie. Mit Workshops, Seminaren und Vorträgen zum Thema Müllvermeidung und Ladengründung trägt sie die Idee aktiv noch weiter die Breite. Ihre Seminare und Beratungen unterstützen mehr Menschen dabei, einen eigenen unverpackt-Landen zu betreiben. Es ist dabei nicht ihr Ziel ein großes unverpackt-Franchise-Imperium aufzubauen. Ihr Wunsch ist es, Mitstreiter*innen zu motivieren, etwas zu unternehmen gegen die Umweltbelastung durch Verpackungsmüll – und zwar ohne Verzicht auf Lebensqualität.

Müllvermeidung ist nach wie vor ein dringendes Problem. 9,2 Milliarden Tonnen Plastik wurden zwischen 1950 und 2017 produziert. Der Großteil (7 Milliarden) endete auf unterschiedliche Weise als Müll – in Mülldeponien, in Verbrennungsanlagen oder in der Umwelt. Besonders die Ozeane sind mittlerweile stark durch Plastik verseucht. Durch Flüsse gelangt achtlos weggeworfener Plastikmüll in die Meere und reichert sich dort seit langem an; im Wasser ist Plastik so gut wie unvergänglich. Es bedroht Meeresbewohner und Ökosysteme. Über den Verzehr von Fisch findet es den Weg zurück an Land und in unsere Lebensmittel.

Ran an Müll in der Lieferkette!

Besonders bei importierten Produkten wie Nüssen hat Delaperrière die Lieferketten im Blick.

Delaperrière betont, in unverpackt-Läden wird nicht nur aktiv Müll gespart. Das gelebte Zero Waste-Konzept sendet seine Botschaft an die Kund*innen ebenso wie in die Lieferketten, die lautet: Es ist möglich! Wenn wir wollen, geht es auch gut ohne den Müll. Damit stünden die unverpackt-Läden an der Spitze einer zukünftigen Kreislaufwirtschaft.

Bei den Erzeuger*innen anzuknüpfen ist ihr dabei ein besonders wichtiges Anliegen. Verpackungsmüll müsse konsequent in der ganzen Lieferkette vermieden werden. Sonst wird sich der Müllberg statt bei den Verbraucher*innen einfach an anderer Stelle ansammeln. Gerade in dem Punkt konnte das wachsende Netzwerk der unverpackt-Läden bereits Fortschritte erzielen. Die Lieferant*innen hätten sich angepasst und das Angebot sich dadurch enorm vergrößert.

Aber nicht nur lose, sondern auch nachhaltig und gut sollen die Produkte sein. Für Delaperrière heißt das vor allem aus der Region und in Bioqualität. Produkte wie Schokolade oder Kaffee, die nicht lokal produziert werden können, kommen aus fairem Handel und von ausgesuchten Importeur*innen. Wie oft beim Thema Lieferketten geht es dabei viel um Vertrauen: Vertrauen zwischen den Geschäftspartner*innen und Vertrauen seitens der Endverbraucher*innen. Gerade die Kund*innen würden zunehmend auf Produkte aus sozial und ökologisch verantwortungsvollen Lieferketten achten. Auf Informationen und Transparenz ihrer Lieferant*innen, z. B. in öffentlichen Nachhaltigkeitsberichten, legt Delaperrière deshalb besonderen Wert. Prozesse wie regelmäßige Zertifizierungen oder Berichterstattungen sorgen für Routine und Rechenschaft. Dadurch könne sich einerseits bei allen Beteiligten Verantwortungsbewusstsein und andererseits gegenseitiges Vertrauen etablieren.

„Unverpackt hat in knapp 9 Jahren schon viel angestoßen, aber besonders angesichts der momentanen Herausforderungen brauchen wir solche konkreten Konzepte. Als Bewegung können wir gemeinsam, auch mit kleinen Schritten Wirkung und Druck erzeugen für eine bessere Zukunft.“

Marie Delaperrière, Gründerin des Kieler unverpackt Ladens

Verbandsarbeit für bessere Rahmenbedingungen

Als Mitglied des Bundeverbands nachhaltige Wirtschaft unterstützt Delaperrière deshalb auch gesetzliche Regelungen wie das Lieferkettengesetz. Sie hofft, dass mit dem Gesetz das Vertrauen der Verbraucher*innen aufgebaut bzw. wo nötig wiedergewonnen werden kann.

Insgesamt gäbe es aber noch Handlungsbedarf, um politische Rahmenbedingungen für die Müllvermeidung zu verbessern. Das neue Mehrweggesetzt z. B. könnte mehr Verbindlichkeit und eine starke Mehrwegpflicht schaffen. Am besten würde eine solche Pflicht europaweit wirken. Außerdem seien unverpackt-Läden offensichtlich keine normalen Supermärkte. Vielmehr handle es sich um Lernorte, an denen Verbraucher*innen aktiv und in kleinen Schritten nachhaltiges Verhalten üben, was letztendlich ein grundsätzliches Umdenken ermöglicht. Ein Wunsch der unverpackt-Läden ist deshalb auch die offizielle Anerkennung als außerschulischer Bildungsort.

Um solche Anliegen und Interessen in die Politik einzubringen und zu vertreten, haben die unverpackt-Läden 2018 den Bundesverband unverpackt e. V. gegründet. Ziel des Verbands ist, mit allen Beteiligten der globalen Lieferkette Lösung zu finden, um Müll sowie Verschwendung zu vermeiden und die Gesundheit, Sicherheit und Rechte aller beteiligten Menschen zu respektieren.

Besonders im Angesicht von komplexen globalen Herausforderungen und epochalen Krisen hat sich mit der unverpackt-Bewegung eine konkrete Möglichkeit entwickelt, Nachhaltigkeit im Alltag zu etablieren. Ähnlich wie Weltläden oder SoLaWis sind unverpackt-Läden die nachhaltigere und solidarischere Alternative, die Verbraucher*innen mit relativ wenig Aufwand und bei jedem Einkauf wählen können. Im unverpackt-Laden ist die sozialökologische Transformation praktisch greifbar, konkret und verfügbar. Der Erfolg der Idee leuchtet auch deshalb ein. Er ist gerade in Zeiten, in denen viele Ohnmacht empfinden, eine bemerkenswerte und wichtige Erfahrung.

Die reuse revolution map von Greenpeace enthält sämtlich unverpackt-Läden und andere Anlaufstellen zum Müllvermeiden: https://reuse-revolution-map.greenpeace.de/index.html#/

Zurück