Handel für alle?! MERCOSUR und die Frage einer gerechteren Welt

Aus der Reihe: SDGs auf dem Prüfstand - Moore, Boden, Handelsabkommen

Autorin: Andrea Ramelow

Nach 25 Jahren teils zäher Verhandlungen einigten sich die EU und die MERCOSUR-Staaten auf das EU-MERCOSUR Abkommen (Tagesschau „Der unperfekte Deal“ s. Quelle). Der MERCOSUR (Mercado Común del Sur) ist ein Wirtschaftsraum, der die Länder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay umfasst. Aus Sicht der EU-Kommission wird das Abkommen als Erfolg gewertet, da hohe Zölle auf europäische Exporte wie Autos, Maschinen, Chemikalien, Medikamente sowie verarbeitete Lebensmittel entfallen sollen (Stichwort: fertige Produkte). Die MERCOSUR-Staaten hingegen streben eine Steigerung der Ausfuhren von Agrarprodukten wie Soja, Fleisch und Orangen an (Stichwort: Rohstoffe).  

Am 21.November, 2024 hat in diesem Bezug die Veranstaltung „Handel für alle?! MERCOSUR und die Frage einer gerechteren Welt“ stattgefunden. Zu Beginn des Abends gab Bettina Müller, Expertin für Handels- und Investitionspolitik bei PowerShift e.V., einen Überblick über die Struktur des Welthandels und den aktuellen Stand der Verhandlungen zwischen der EU und lateinamerikanischen Ländern. Anschließend ging es direkt in die Diskussion zum EU-MERCOSUR. 

In der Diskussion wurden verschiedene Aspekte dieses Abkommens thematisiert. Gemeinsam mit Frau Müller, Prof. Dr. Rolf J. Langhammer, Handelsexperte und ehemaliger Vizepräsident des IfW Kiel, sowie Iván Murillo Conde aus der indigenen Gemeinschaft der Pijao in Kolumbien haben wir am Beispiel von Pestiziden die Auswirkungen des Abkommens näher beleuchtet. 

 

Handelsabkommen: Ein geopolitisches Machtspiel?

Das MERCOSUR-Abkommen wird von einigen als geopolitisches Instrument gesehen, um Chinas wachsenden Einfluss in der Region einzudämmen. Tatsächlich ist China jedoch längst der wichtigste Handelspartner vieler südamerikanischer Staaten – und das ohne jahrzehntelange Verhandlungen, wie es mit der EU der Fall war. Dieses Argument, das oft für den Abschluss des Abkommens angeführt wird, überzeugt nicht alle. Kritiker*innen sehen darin eher eine Bestätigung dafür, dass das Abkommen die bestehende Rolle der südamerikanischen Staaten als Rohstofflieferanten zementiert und die neokolonialen Strukturen in den Lieferketten weiter verstärkt.  

Iván Murillo, Vertreter der indigenen Gemeinschaft der Pijao aus Kolumbien berichtete von den Erfahrungen seiner Region mit dem Freihandelsabkommen zwischen der EU, Kolumbien, Ecuador und Peru. Die Folgen seien verheerend: Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen, Landraub und gravierende gesundheitliche Schäden. „Für die Menschen vor Ort spielt es keine Rolle, wer diese Abkommen abschließt – USA, EU oder China. Die Auswirkungen für die Zivilgesellschaft sind immer negativ“, betonte er.  

Das Abkommen ist nicht unumstritten, vor allem aufgrund der ökologischen und sozialen Folgen. Ein Aspekt ist der Anbau von gentechnisch verändertem Soja und die intensive Rinderzucht, die in Südamerika gravierende Auswirkungen haben. Gentechnisch veränderte Sojabohnen dominieren den Anbau, was mit einem hohen Einsatz von Pestiziden einhergeht.  

Was sind Pestizide? 

Als Pestizide werden viele unterschiedliche Stoffe und Stoffkombinationen bezeichnet, die als "Pflanzenschutzmittel" oder als Biozide (von griech. bios = Leben und lat. caedere = töten = Leben töten) eingesetzt werden. Sie sind giftig für Pflanzen (Herbizide), Insekten (Insektizide) oder Pilze (Fungizide). Herbizide wie Glyphosat töten alle Blühpflanzen ab. Viele Insektizide wirken nicht nur auf die beabsichtigten Tiere, sondern verursachen Kollateralschäden an Nützlingen. 

 

Die Herstellung und Nutzung von Pestiziden haben weitreichende Folgen für den Klimaschutz. Die schädlichen Nebeneffekte werden  zumeist ignoriert und dann oftmals heruntergespielt (Corporate Europe Observatory, 2024). Das bekannteste Beispiel ist das Herbizid Glyphosat, das auch als Roundup bekannt ist. Folgende Punkte treffen auf Pestizide insgesamt zu:   

  1. Die Produktion von Pestiziden erfordert große Mengen fossiler Brennstoffe, was zu erheblichen Treibhausgasemissionen führt. Dies trägt direkt zum Klimawandel bei, da Kohlendioxid (CO) und andere Treibhausgase freigesetzt werden.
  2. Die langfristige Anwendung von Pestiziden beeinträchtigt die Bodenqualität. Sie zerstören oft nicht nur Schädlinge, sondern auch nützliche Mikroorganismen im Boden, die für die Kohlenstoffbindung entscheidend sind. Ein geschädigter Boden verliert seine Fähigkeit, Kohlenstoff zu speichern, was zu einer Freisetzung von CO in die Atmosphäre führt.
  3. Pestizide tragen zur Zerstörung von Lebensräumen und zur Reduzierung der Biodiversität bei. Der Einsatz von Pestiziden fördert oft Monokulturen, da diese von Pestizidherstellern bevorzugt werden, um die Schädlingsbekämpfung zu standardisieren. Monokulturen verringern die Biodiversität, schwächen Ökosysteme und erhöhen den Bedarf an chemischen Inputs, was wiederum die Treibhausgasemissionen steigert. Dadurch werden Ökosysteme geschwächt, die eine Schlüsselrolle im Klimaschutz spielen, wie etwa Wälder und Feuchtgebiete, die Kohlenstoff speichern und regulierende Dienstleistungen für die Menschen erbringen.

 

Die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und Spillover-Effekte

Was sind die SDGs?

Die Sustainable Development Goals – kurz SDGs und auf Deutsch „globale Nachhaltigkeitsziele“ der Vereinten Nationen (VN) wurden im September 2015 auf der Generalversammlung der VN als Agenda zur nachhaltigen Transformation unserer Welt beschlossen und von 193 Mitgliedsstaaten verabschiedet. Damit haben sich alle Unterzeichner*innen zur Umsetzung der SDGs bis 2030 verpflichtet. Dies beinhaltet sowohl die Umsetzung im eigenen Land als auch die Realisierung der SDGs auf globaler Ebene, denn nahezu alle der 17 Einzelziele können nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn die Staatengemeinschaft zusammenarbeitet. 

17 UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs)

 

Die wachsende Nachfrage nach Soja und die damit verbundene Expansion von Monokulturen gefährden mehrere der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN (SDGs). Besonders betroffen sind: 

  • SDG 3: Förderung eines gesunden Lebens für alle 
  • SDG 6: Sicherung der nachhaltigen Nutzung von Wasserressourcen 
  • SDG 15: Schutz und nachhaltige Nutzung von Landökosystemen sowie Erhalt der biologischen Vielfalt 

Die SDG-Umsetzung durch Bund, Länder und Kommunen kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die Fähigkeit anderer Länder haben, die SDGs zu erreichen – man spricht hierbei von Spillover-Effekten. 

Obwohl Deutschland im SDG-Ranking auf Platz 4 liegt, belegt es im Spillover-Ranking Platz 144 von 166 Ländern, d.h., die negativen Effekte überwiegen deutlich - ähnlich wie bei anderen Ländern des Globalen Nordens. Der Fleischkonsum und landwirtschaftliche Praxis in der Europäische Union führt zu negativen Spillover-Effekten wie Umweltverschmutzung, Wasserstress und Menschenrechtsverletzungen in Ländern des Globalen Südens. 

In der EU verbotene Pestiziden die aus der EU exportiert werden (Quelle: © Martin Grandjean (martingrandjean.ch) / Public Eye / Unearthed)

Die gesundheitlichen Folgen für Menschen, die in der Nähe solcher Monokulturen leben, sind alarmierend: beispielweise Kinder, die unter Asthma, Erbrechen, Schmerzen im Brustkorb sowie Magen und Kopfschmerzen leiden oder das nachweislich höheres Risiko für Fehlgeburten, Kinder mit Gendefekten, Haut- und Atemwegserkrankungen, Schilddrüsenüberfunktion, sowie 400% höhere Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken (Luig, 2020). Angesichts dieser dramatischen Erkenntnisse erscheint die durchaus berechtigte Sorge westeuropäischer Verbraucher*innen vor den gesundheitlichen Schäden durch Pestizidrückstände in Lebensmitteln im Vergleich als Luxusproblem (Luig, 2020).  

Viele dieser Pestizide werden aus der EU exportiert unter anderem auch von deutschen Agrarkonzernen wie Bayer-Monsanto und BASF (Abb. 1)– selbst dann, wenn sie in Europa aufgrund ihrer Gesundheitsrisiken verboten sind. Das Freihandelsabkommen wird diese Exporte durch den Wegfall von Zöllen weiter erleichtern, was den Verkauf dieser Produkte ankurbelt. Über Importe südamerikanischer Agrargüter kommt die Pestizidbelastung durch die Hintertür schließlich zurück nach Europa. Schon in 2020 stammten 93% des in der EU zu Tierfutter verarbeiteten Sojaschrots aus den MERCOSUR-Ländern. Deutschland gilt aufgrund seiner Exportorientierung als eine der treibenden Kräfte hinter dem Abkommen.

Eine Analyse von Testbiotech e.V. und Germanwatch (2018) zeigt, dass die derzeitige Soja-Anbau-Praxis in ihrer Gesamtheit der Verwirklichung wichtiger Ziele der 2030-Agenda der UN (SDGs) entgegensteht. Die EU und Deutschland tragen – angesichts ihres signifikanten Anteils an den südamerikanischen Sojaexporten – einen erheblichen Teil der Verantwortung für diese Entwicklung (PowerShift e.V., 2020). 

Die Lebensmittelpreis- und Hungerkrise kann durch eine Umstellung auf agrarökologische Konzepte bewältigt werden. Diese Umstellung würde Landwirt*innen ermöglichen, von teuren Agrarchemikalien unabhängig zu werden, und Verbraucher*innen eine größere Vielfalt an lokalen, gesunden Nahrungsmitteln bieten. Zudem würde eine Abkehr von Importen und eine Stärkung der Selbstversorgung dazu beitragen, Krisen besser abzufedern (Marí, 2022). In diesem Kontext gewinnt der ökologische Landbau an Bedeutung, da er ganz ohne giftige Chemikalien auskommt und trotzdem gute Erträge und Gewinne erzielt. Das liegt mit daran, er einen mehrdimensionalen Ansatz verfolgt: Er maximiert nicht nur den Ertrag einer einzigen Nutzpflanze an einem Zeitpunkt X, sondern verbessert die Bodengesundheit, reichert Humus an, stärkt die Agrarvielfalt und hat im Sinne der Mehrgewinnstrategie noch weitere Vorteile (Neubert, 2024).   

 

Fazit

Das Abkommen wurde Anfang Dezember 2024 in Uruguay von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gegen alle Bedenken und Widerstände durchgesetzt. Es bietet zwar wirtschaftliche Chancen für einige, stellt aber andererseits auch eine immense Herausforderung für die nachhaltige Entwicklung dar. Angesichts der negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit bleibt die Frage, wie Handelsabkommen so gestaltet werden können, dass sie global gerechter und ökologisch verantwortlicher sind. 

 

 

Quellen & Literatur

Corporate Europe Observatory, 2024. DEADLY EXPORTS https://corporateeurope.org/en/2024/05/deadly-exports 

Lambert, T. Freihandel forciert Zerstörung in Südamerika. Für eine Landwirtschaft ohne Agrargifte. Südlink Das Nord-Süd-Magazin von Inkota  

Luig, L. Gift auf dem Acker in Gefährliche Pestizide. Für eine Landwirtschaft ohne Agrargifte. Südlink Das Nord-Süd-Magazin von Inkota  

Neubert, S, 2024. Warum Pestizide eher Fluch als Segen sind in Entwicklung und  Zusammenarbeit. https://www.dandc.eu/de/article/herbizide-fungizide-und-insektizide-schaden-der-umwelt-und-sind-gesundheitsschaedlich-sie 

Public Eye. Banned in Europe: How the EU exports pesticides too dangerous for use in Europe https://www.publiceye.ch/en/topics/pesticides/banned-in-europe 

Tagesschau https://www.ta<gesschau.de/ausland/amerika/mercosur-kommentar-100.html 

Testbiotech e.V. und Germanwatch e.V., 2018. Gentechnik-Soja in Südamerika: Flächenverbrauch, Pestizideinsatz und die Folgen für die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (https://www.germanwatch.org/sites/germanwatch.org/files/Studie%20Gentechnik-Soja%20in%20S%C3%BCdamerika_0.pdf) 

 

 
Die Veranstaltung ist Teil des SDG-Programmes des Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e.V. (BEI) in Kooperation mit Brot für die Welt im Diakonischen Werk Schleswig-Holstein. Es wird gefördert durch Engagement Global mit finanzieller Unterstützung des BMZ, BINGO! Die Umweltlotterie, den Kirchlichen Entwicklungsdienst der Nordkirche (KED), die GLS Treuhand Dachstiftung für Individuelles Schenken und die Rosa-Luxemburg-Stiftung

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