Hochgeholt
Forschungstaucher Christian Howe
Interview: Benjamin Hellwig und Fridtjof Stechmann
Verstehen, um Wertzuschätzen: Christian Howes Beruf ist ungewöhnlich. Der Biologe und Forschungstaucher macht mit seiner Arbeit eine Welt sichtbar, die vielen Menschen verborgen ist. Der 44-jährige im Gespräch über die Bedeutung von schleswig-holsteinischen Seegraswiesen, das Bergen von Geisternetzen und seinen Puls bei 80 Meter tiefen Tauchgängen.
Hallo Christian Howe, womit begann Ihre Faszination für das Tauchen?
Das war ein schleichender Prozess. Meine Faszination für das Wasser ist schon sehr lange da. Wir waren mit meinen Eltern früher jedes Wochenende in unserem Ferienhaus an der Ostsee. Durch meinen Vater kam ich zum Windsurfen und dann auch zum Tauchen, aber Blut habe ich da noch nicht geleckt. Ich war eher auf statt im Wasser unterwegs. Nachdem ich Garten- und Landschaftsbau und Dachdecker gelernt hatte, hörte ich im Biologiestudium von der Möglichkeit, Forschungstaucher zu werden. Mich faszinierte es, unter Wasser wissenschaftlich zu arbeiten und das nicht nur hochfiligran, sondern richtig handwerklich (lacht). Tauchen hat einen großen Reiz für mich. Es ist eine unbekannte Welt, die nicht alltäglich ist wie die hier oben an der Luft. Zudem ist der Aufenthalt nicht einfach, weil du erst mit technischer Hilfe da unten sein kannst. Und diese tauchtechnischen Möglichkeiten sind für mich wie ein riesiger Blumenstrauß. Dazu gehört auch das schlauchversorgte Tauchen, das ich kürzlich zum ersten Mal mit Helm gemacht habe. Und diese Werkzeuge brauche ich für meine Aufgaben unter Wasser.
Sie sind Teil des schleswig-holsteinischen Forschungstauchernetzwerks Submaris. Wie kam es dazu?
Zunächst habe ich bei uniinternen Projekten aus Geologie, Archäologie und Biologie mitgearbeitet und Proben genommen oder Organismen gesammelt. Da haben uns hin und wieder verschiedene Filmteams begleitet. Und öfter kam dabei der Satz, „das war schon sehr gut, aber könnt ihr das bitte noch mal machen“ (lacht). Wir haben uns dann entschieden, unsere Arbeit selbst mit Kameras zu dokumentieren. Bei diesen Projekten waren es oft die gleichen Fünf, mit denen ich heute bei Submaris zusammenarbeite. Die Ausbildung zum Forschungstaucher machen viele, aber nur sehr wenige arbeiten so wie wir bereits seit 15 Jahren zusammen. .
„Mich fasziniert es immer noch, wie akribisch man sich vorbereiten muss.“
Was waren erste markante Projekte?
Es ging los mit einem archäologischen Höhlentauchprojekt in Mexiko, danach tauchten wir in Ostholstein um teilweise untergegangene Inseln, um nach Archäologie zu suchen. Teilweise waren das Spuren aus der Slawenzeit, bis zu 1000 Jahre alt. Wir dokumentierten alte Brückenanlagen in Eutin und im Großen Plöner See, dabei fanden wir sogar einige Bronzebeile. Daraus entstanden immer mehr Aufträge, die wir nicht nur wissenschaftlich, sondern eben auch medial umsetzten. Weil wir gemerkt haben, dass es extrem wichtig ist, diesen unbekannten Lebensraum, den sich viele Menschen nicht vorstellen können, mit qualitativ hochwertigen Film- und Fotoaufnahmen darzustellen. Auf diesem Wege können wir Wissen vermitteln.
Was macht es mit Ihnen, auf solche Funde zu stoßen?
Ich bin ja eigentlich Biologe und nicht gerade der Schatzsucher unter den Tauchern. Mein Puls bleibt dabei meist ruhig. Das Skurrile aber ist, dass ich ein großes Talent habe, Sachen zu finden. Ich bin sehr aufmerksam und kann neben der Taucherei noch sehr gut meine Umgebung beobachten. Das lässt mich viele Sachen sehen, die andere vielleicht übersehen. Und manchmal kommt mir der Zufall zu Hilfe, beispielsweise, als ich gerade am Saugrohr einer Ausgrabung stand und ein Stück des Unterkiefers der bisher ältesten Schleswig-Holsteinerin in den Händen hielt.
Und wo steigt bei Ihnen der Puls?
Vor tiefen und langen Tauchgängen. Vielleicht ist meine Lernkurve nicht so steil, aber mich fasziniert es immer noch, wie akribisch man sich vorbereiten muss. An kleinsten Dingen kannst du scheitern. Ich bin dann angespannt und mache mir auch Sorgen. Es ist ein Element, in dem kein Mensch so richtig zu Hause ist. Das Meer ist tiefer als die für Forschungstaucher zulässigen Tauchtiefen von 30 bzw. 50 Meter, und die Wissenschaft hört da ja auch nicht auf. Wir waren in Norwegen bei Kaltwasserkorallen auf 80 Metern Tiefe. Aber jeder Tauchgang birgt eine gewisse Gefahr. Und obwohl ich schon lange tauche, ist es für mich nichts Alltägliches. Man merkt mir das dann an, weil ich dann nicht mehr so viel schnacke, was ich eh schon nicht so tue (lacht).
Wie ist es, mit wenig Sicht auf Tauchgang zu gehen?
Wenig Sicht ist manchmal schon unangenehm, aber im Dunkeln bei Nacht zu tauchen, ist für mich beruhigend. Du siehst dann nur das, was du mit deiner Lampe anleuchtest. Angst, die dir über Filme suggeriert wird, ist Quatsch und für mich kein Thema. Mir ist bewusst, dass da nicht auf einmal etwas Fieses aus der Dunkelheit ankommt. Wenn du nachts tauchst, siehst du andere Organismen und dir neue Verhaltensweisen von Lebewesen.
„Geisternetze sollten raus aus dem Wasser. Es ist nur nicht so einfach, sie zu finden.“
Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich im Moment?
Aktuell kartieren wir Seegraswiesen für das Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume in Zusammenarbeit mit dem GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Das Seegras ist keine Alge, sondern eine im Meer lebende Blütenpflanze. Sie wächst nicht wie Algen auf hartem Substrat, sondern auf Sand, da sie Wurzeln bildet. Das Wurzelwerk bildet große Matten, die Sand und Sediment festhalten. Die Strömungsgeschwindigkeit ist dann geringer, Sedimente lagern sich ab. Seegraswiesen haben daher eine gewisse Küstenschutzfunktion. Zudem sind sie ein wichtiges Habitat für Jungfische und speichern zusätzlich noch in großem Maß Kohlendioxid. Bei der Kartierungsarbeit fahren wir mit einem Boot die gesamte schleswig-holsteinische Ostseeküste von Flensburg bis Lübeck mit einer Schleppkamera ab. Bringt man später im Labor Video- und Geodaten übereinander, können wir für den küstenparallelen Streifen sagen, wo Seegras wächst. Darüber versucht man Abschätzungen über den Bestand zu bekommen. Im Vergleich zu vor zehn Jahren, als wir dort bereits kartiert haben, können wir auf jeden Fall Veränderungen erkennen. Noch aber muss weiter ausgewertet werden.
Was verbirgt sich hinter dem Wort „Geisternetze“?
Geisternetze sind verloren gegangene Fischereigeräte, die, aus welchen Gründen auch immer, abgerissen oder abgefahren worden sind. Es gibt eine Meldepflicht, die Zahlen sind aber nicht besonders hoch. Diese Netze fangen noch immer Meerestiere, zudem bestehen sie aus Kunststoffen, die immer weiter zerrieben werden und als Mikroplastik das Meer verunreinigen. Diese Netze sollten also raus aus dem Wasser. Es ist nur nicht so einfach, sie zu finden. Wir arbeiten momentan für den WWF, aber auch Greenpeace und andere Gruppen beschäftigen sich mit dem Thema. Der WWF hat viele Methoden ausprobiert. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass ein Seitensichtsonar der beste Weg ist. Auch Sporttaucher sollen mit eingebunden werden und über eine App Funde von Reusen, Schlepp- oder Stellnetzen melden. Das Bergen aber wird von Berufstauchern durchgeführt. Die Gefahr des Verhakens ist bei dieser Arbeit zu groß. Wir sind in die Suche eingebunden, haben Seitensichtscans in der Eckernförder und Kieler Bucht erstellt und Gebiete, in denen Stellnetze gestellt werden, abgefahren. Zum Teil sind wir dann auch zur Dokumentation des Abbergens dabei. Die Methode funktioniert, das Recyceln jedoch noch nicht. Es ist ein so großer Wust an Materialien und Stoffen inklusive Blei, dass man diese Netze nicht effizient entsorgen kann. Durch uns und den WWF sind sieben Tonnen Material an Land geholt worden. Die Organisation möchte auf das Thema aufmerksam machen, will aber auch jemanden finden, der politisch dafür die Verantwortung übernimmt.
Was passiert in der Nordsee?
Wir sind seit zehn Jahren im Juli immer vor Helgoland und arbeiten in drei bis 15 Meter tiefem Wasser vor der „Langen Anna“. Auf dem unterseeischen Felssockel des Buntsandsteins zählen wir Algenarten in verschiedenen Tiefen. Das sind wichtige Daten für die Wasserrahmenrichtlinie der EU, nach der jeder Wasserkörper bewertet werden muss. Wir bestimmen Algentiefengrenzen, gehen also der Frage nach, in welcher Tiefe welche Algenarten vorkommen. Algen sind lichtabhängig, und wenn Licht weiter in die Wassersäule eindringen kann, wird das als gut bewertet. Kommen sie flacher vor, ist das Wasser trüber, zum Beispiel durch Sedimente, aber auch durch Überdüngung. Es gibt fünf Algenarten, die wir bestimmen müssen, aber mittlerweile haben wir uns da reingefuchst und können 35 Arten unter Wasser unterscheiden.
Wo tauchen Sie am liebsten?
In Norwegen, wegen des Lebens, das dort im Wasser ist. Ich mag unsere Ostsee, fast nach jedem Tauchgang ist etwas, an das ich mich gerne erinnere, aber in Norwegen sind es dann zehn solcher Dinge. Es ist dort bunter, größer, vielfältiger. Ich bin glücklicherweise einmal im Jahr dort, da ich für das Ozeaneum in Stralsund an Tierbeschaffungsreisen teilnehme. Wir sammeln beispielsweise Kaltwasserkorallen für eine Ausstellung, um auf diesen Lebensraum aufmerksam zu machen. Einen Markt für die Tiere, die dort ausgestellt werden, gibt es nicht. Es gibt zwar Tauschbörsen unter den Aquarien, wenn das Vermehren gelingt, aber einige Tiere bekommt man nicht auf diesem Weg. Dann musst du sie in der Natur fangen, oder du stellst sie nicht aus, sondern malst ein Bild oder zeigst einen Film. Ich denke, ein echtes Tier fasziniert die Menschen mehr, bestimmte Regeln für eine tiergerechte Haltung sind dann natürlich wichtig.
Welches zukünftige Tauchprojekt haben Sie in Planung?
Ich bin bei vielen Projekten dabei, plane und organisiere sie und bin da sicher auch ein wichtiger Bestandteil. Aber es sind Projekte, die sich andere Menschen überlegt haben. Mein Ziel ist es, eines Tages eine eigene Idee zu haben, mit der ich eine bestimmte Frage beantworten kann. Das habe ich noch nicht geschafft und bin vielleicht zu sehr Handwerker und zu wenig Wissenschaftler (lacht). Aber es muss ja auch nicht weltverändernd sein.
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