Nachgefragt

Saubere Kleidung

Waltraud Waidelich von der Clean Clothes Campaign

Interview: Benjamin Hellwig

Arbeiterin einer Nähfabrik in Indien. Foto: TransFair e.V. Anand Parmar

Seit 30 Jahren kämpft die Kampagne für Saubere Kleidung für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz. Im Gespräch blickt Waltraud Waidelich von der CCC Kiel auf miserable Produktionslöhne im hochpreisigen Kleidungssegment, Protestaktionen vor Fast-Fashion-Stores und die Forderung nach gesetzlichen Vorgaben.

Waltraud Waidelich, Clean Clothes Campaign.
Foto: Nordbild

Hallo, Waltraud Waidelich. Für welche Veränderungen in der Bekleidungsindustrie setzt sich die Clean Clothes Campaign (Kampagne für Saubere Kleidung, CCC) ein?
Wir setzen uns für die Zahlung von existenzsichernden Löhnen und als Minimum für Grundrechte wie die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation in der globalen Bekleidungsindustrie ein. Unter anderem engagieren wir uns für Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen und gegen Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Diskriminierung, überlange Arbeitszeiten. Seit dem dramatischen Einsturz des Fabrikkomplexes Rana Plaza bei Dhaka in Bangladesch haben wir unsere Kampagnenarbeit verstärkt auf Brandschutz und Arbeitssicherheit ausgerichtet. Wir fordern die Einhaltung von Arbeitsrechten entlang der ganzen textilen Kette. Dabei streben wir gesetzliche Regeln an, die für alle Bekleidungsfirmen gleichermaßen gelten sollen. Kleidung ist in den letzten Jahren immer billiger geworden, weil die wahren Kosten für Mensch und Umwelt nicht in den Fast-Fashion-Preisen sichtbar werden. Kleidung ist so immer mehr zu einem Wegwerfartikel geworden. Wir haben den Respekt vor der Arbeit und den Umweltkosten, die in Wahrheit darin enthalten sind, verloren. Kleidung muss teurer werden und die wahren Kosten an menschlicher Arbeitskraft und den Verbrauch der Naturressourcen widerspiegeln.

„Die wahren Kosten für Mensch und Umwelt werden in den Fast-Fashion-Preisen nicht sichtbar.“

Waltraud Waidelich

Vor 30 Jahren wurde die CCC in den Niederlanden ins Leben gerufen. In Deutschland existiert die Kampagne seit 1997. Sie sind für das Frauenwerk der Nordkirche im Trägerkreis der Kampagne für Saubere Kleidung und arbeiten seit 2003 in der Hamburger und seit 2013 in der Kieler CCC-Gruppe mit. Wie ging es los?
Die Gründung der Kampagne für Saubere Kleidung war eine Reaktion auf die Auslagerung der Bekleidungs- und Sportartikelindustrie in Länder des Südens. In den 1980er und 1990er- Jahren verlagerten viele Firmen die Produktion nach Asien. Dieser Prozess war politisch von der Weltbank und dem IWF gesteuert und folgte der Doktrin des Neoliberalismus. Man sagte, die niedrigen Arbeitslöhne seien die komparativen Kostenvorteile, schränkte Arbeits- und Gewerkschaftsrechte ein und hoffte auf Investitionen, Entwicklung und Wohlstand. Als das Welttextilabkommen auslief, kam China auf den Markt und wurde zu einem der größten Lieferanten für Bekleidung. Wenn ein Land seine Löhne steigert, wandert die Textilindustrie in ein billigeres Land weiter, z. B. nach Bangladesch, Myanmar, Äthiopien. Osteuropa hat zum Teil heute niedrigere Löhne in der Textilindustrie als China. Der Konkurrenzmechanismus der Länder untereinander verhindert, dass Löhne steigen und sich in den Ländern entsprechend Kaufkraft und Wohlstand bildet. .

Demonstration der Gewerkschaft National Garment Workers Federation (NGWF) in Dhaka. Foto: FEMNET e.V / Gisela Burckhardt

Welche Erfolge haben Sie wahrgenommen?
Es gibt beachtliche Erfolge im Vergleich zu den Anfängen. Als wir loslegten, hatte keines der Unternehmen, auf die wir die Kampagne gerichtet haben, eine Abteilung für Unternehmensverantwortung. Heute verpflichten fast alle Unternehmen ihre Lieferanten auf die Einhaltung von Codes of Conduct. Die enthalten im Wesentlichen die ILO-Kernarbeitsnormen und gehen darüber hinaus. Viele haben sich in freiwilligen Unternehmeninitiativen zusammengeschlossen oder organisieren sich in Multistakeholder-Initiativen wie der Fair Wear Foundation. Es gibt einige produktbezogene Öko- und Sozialsiegel. Die Unternehmen lassen ihre freiwilligen Sozialstandards von eigenen oder kommerziellen Auditoren kontrollieren. Leider hat sich dadurch an den Arbeitsbedingungen vor Ort doch nicht viel geändert. Wenn die Löhne gestiegen sind, hat die Inflation den Zuwachs aufgezehrt. Audits haben sich zu einem Riesengeschäft entwickelt. In Deutschland hat sich nach Rana Plaza das Textilbündnis gegründet. Das hat bewirkt, dass viele Textildiscounter sich für das Thema geöffnet haben. Wir sind darin als CCC Deutschland und Frauenwerk der Nordkirche auch Mitglied. Die Mitglieder müssen sich entlang der Lieferkette bei Baumwolle, Chemikalien und Konfektion Ziele setzen. In Politprojekten können Lösungsstrategien erprobt werden. Ich halte es für eine Lernplattform für Unternehmen, die bei dem Thema Unternehmensverantwortung noch etwas nachzuholen haben. Leider hat es in die Fabriken hinein keine messbare Wirkung. Es bleibt alles vage und freiwillig. Als einen Erfolg auf der rechtlichen Ebene sehe ich die UN-Leitlinien für Wirtschaft- und Menschenrechte, die leider in Deutschland bisher nur auf freiwilliger Basis umgesetzt werden müssen. Durch die Kampagnen der Nichtregierungsorganisationen verstärken wir jetzt gerade den Druck auf die Politik, auch in Deutschland mit einem Lieferkettengesetz Unternehmen zu menschenrechtlicher und ökologischer Sorgfalt entlang ihrer Lieferkette zu verpflichten. Die UN-Leitlinien gibt es seit 2015 und sie müssten endlich in nationales Recht umgesetzt werden, das für alle Unternehmen gilt. Interessant ist aus meiner Sicht die Initiative ACT Action Collaboration Transformation. Hier sollen sich Unternehmen verpflichten, Aufträge nicht aus einem Land abzuziehen, wenn dort die Löhne steigen. Es soll in Kambodscha getestet werden, und einige große Bekleidungsunternehmen machen mit.

Welche Methoden funktionieren in Deutschland, was verbirgt sich hinter den Eilaktionen?
Wir führen Studien durch und sammeln Belege, wie miserabel die Produktionslöhne im hochpreisigen Kleidungssegment sind. Zuletzt hat die CCC mit einer Studie zu Existenzlöhnen belegt, dass sich trotz vieler schöner Worte in diesem Bereich kaum etwas tut. Wir haben belegt, dass Audits die Arbeitsbedingungen kaum verbessert haben. In Eilaktionen fokussieren wir möglichst viele Engagierte per Mail für ein Anliegen. Somit konnten wir erreichen, dass entlassene Gewerkschafterinnen wieder eingestellt wurden oder Entschädigungszahlungen bekamen. Wir haben mit Eilaktionen erreicht, dass es ein erstes Brand- und Gebäudeschutzabkommen in Bangladesch gab oder, dass Opfer von Rana Plaza entschädigt wurden.

Auf die Straße gehen. Foto: Kampagne für Saubere Kleidung/INKOTA-Netzwerk

„Dieser Fast-Fashion-Wahnsinn muss dringend aufhören.“

Waltraud Waidelich

In Kiel richtete sich im November 2019 der Protest gegen die Eröffnung und das Geschäftsmodell von Primark. Inwieweit ist der Konzern sinnbildlich für die Fast-Fashion-Industrie?
Als Primark eröffnete, trugen junge Leute im Auftrag von C&A Schilder auf dem Rücken und warben, dass bei C&A die Preise um 20 Prozent gesenkt worden seien! Das ist ein eindeutiger Beleg für den Preisdruck, der von Primark auf die anderen Mitbewerber*innen ausgeht. Der Wert der Kleidung sinkt. Ein Drittel der Kleidung, zwei Mrd. Stücke, werden fast ungetragen weggeworfen. Diese Entwertung ist ein Werteverfall von Arbeit und Ressourcen: Wasser, Chemikalien, Boden, Erdöl. Zehn Prozent der CO2-Emissionen entstehen durch Kleidung. Da sollten wir uns überlegen, ob wir wertvolle Ressourcen und Arbeitskraft einfach so für den Müll produzieren. Dieser Fast-Fashion- Wahnsinn muss dringend aufhören.

Welche Akteure haben sich für diesen Protest zusammengeschlossen?
A CCC Kiel, Frauenwerk der Nordkirche, Attac Kiel, Extinction Rebellion. Wir haben eine Straßentheateraktion vorbereitet und fanden es großartig, dass wir viele Leute von der Alten Mu (Alte Mu Impuls-Werk e.V. in Kiel, Anm. d. Red.) oder auch von IG Metall sowie der Grünen Jugend bei der Kundgebung vor Primark angetroffen haben.

Protestaktion gegen die Eröffnung und das Geschäftsmodell von Primark in Kiel im November 2019. Foto: Ulf Stephan

Welche Herausforderungen sind geblieben?
Wir müssen nun endlich eine gesetzliche Regelung, ein Lieferkettengesetz, erreichen und messbare Verbesserungen in den Fabriken für die Menschen dort erzielen. Zunehmend sehe ich das Thema CO2-Emissionen und Belastung der Umwelt, z. B. durch Chemikalieneinsatz bei Gore-Tex, als ein Riesenproblemfeld. Ich sehe es nicht ein, dass zwei Mrd. Bekleidungsstücke kaum getragen entsorgt und darüber hinaus 20 Mrd. Stücke erst gar nicht abverkauft werden. Eine solche Verschwendung kann die Menschheit in Anerkennung der planetaren Grenzen nicht weiter betreiben.

Welchen Einfluss können Konsumenten ausüben, welchen die politischen Entscheider?
Konsument*innen glauben, dass sie mit dem richtigen Siegel oder Label viel bewirken können. Sie sehen sich in der Verantwortung. Unlängst wurde ihnen diese vermeintliche Verantwortung durch ein angeblich faires Textilsiegel, den „Grünen Knopf“, weiter aufgedrückt. Tatsächlich gilt der Grüne Knopf nicht für Baumwolle und sorgt nicht für existenzsichernde Löhne. Die Teilnahme ist für Firmen freiwillig. Die Kontrolle der ökologischen und sozialen Inhalte des Grünen Knopfes erfolgt über Auditfirmen, die bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen immer wieder als Instrument versagt haben. Wie können Konsument*innen eine Lieferkette von 60.000 Kilometer bei der Herstellung von Bekleidung überblicken? Die politischen Entscheider* innen sind in der Verantwortung, für alle Firmen dieselben Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich sozialer und ökologischer Risiken herzustellen. Das ist die Aufgabe von Politik. Anders kann es nicht gehen, wenn uns die Achtung von Menschen und Natur etwas wert ist.

Auf der Protestaktion in der Kieler Innenstadt. Foto: Ulf Stephan

Wie und wo kann jeder selbst aktiv werden?
Jede kann immer wieder bei Abgeordneten, politisch Verantwortlichen Druck machen, dass endlich ein Lieferkettengesetz kommt. Es fehlen aber auch noch neue politische Initiativen gegen diese verschwenderische Wirtschaftsweise im Umgang mit Human- und Naturressourcen. Die CCC Kiel macht Bildungsarbeit und unterstützt die Kampagnenarbeit und Ziele der internationalen CCC. Da kann jede und jeder mitmachen. Ich finde, es hat immer etwas sehr Reinigendes, ja fast Spirituelles, mal an einer Straßenaktion teilzunehmen und öffentlich zu zeigen, wofür wir stehen.

Waltraud Waidelich ist Referentin beim Frauenwerk der Nordkirche für Konsumethik und Feministische Ethik und im Auftrag des Frauenwerks Mitglied in der CCC Kiel, CCC Hamburg und im Trägerkreis der CCC Deutschland.

Die CCC Kiel hat für die Arbeit von Multiplikator*innen mit Jugendlichen und Erwachsenen 12 Bildungsbüdel konzipiert, die geliehen werden können.

Weitere Infos unter www.frauenwerk.nordkirche.de/de/bildungsbüdel-kleidung.htm und www.saubere-kleidung.de

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