Temme Struck und die Schweine von Schleswig-Holstein

Autorin: Lea Kleymann

Aus der Reihe: Schweine, Schlepper, SDGs: Landwirtschaft zwischen Tradition & Innovation

 

Mein letztes Interview führt mich zu Jenna und Temme Struck nach Schnarup-Thumby. Ich habe mich gefreut, dass ich mir am Ende meiner Interviewreihe einen konventionellen Schweinemastbetrieb anschauen darf. Nicht jede*r Landwirt*in, der*die Schweine mästet, lässt Menschen in die Ställe für eine Besichtigung aus ganz unterschiedlichen Gründen. Das können hygienische Richtlinien, der Mangel an Zeit oder auch Angst vor der Sichtbarkeit in der breiten Öffentlichkeit sein. Letzteres kann zu Einbrüchen in den Ställen führen. Mit Temme Struck habe ich einen etwas größeren Fisch geangelt, so scheint es mir. Gespannt fahre ich diesmal mit unserer Praktikantin zum Hof der Familie Struck. Mit ein wenig Regen im Gepäck kommen wir beim Unternehmer und Landwirt Temme Struck an. Jenna Struck, Tochter von Temme und Mitunternehmerin, erwartet uns bereits und empfängt uns herzlich. Nichtsahnend werden wir hier insgesamt drei Stunden verbringen, über eine Menge reden und natürlich über die Ansichten von Temme und Jenna lernen. 

Familie Struck bewirtschaftet insgesamt 450 ha mit der Fruchtfolge Raps, Weizen, Gerste, Roggen und gelegentlich Mais nach konventioneller Art. Die meiste Frucht (Weizen, Gerste und Roggen) wird für die Futterproduktion der Mastschweine verwendet. Zugekauft werden Sojaextraktionsschrot und Mineralstoffe. Die Familie besitzt insgesamt 10 Standorte mit jeweils 300 bis 1000 Tieren pro Stall. Ein weiterer Betriebszweig des Unternehmens ist der Handel und die Vermarktung von Ferkeln aus Dänemark (dem Land der Ferkelerzeugung) ins nördliche Deutschland. 

 

 

Wie viele Schweine werden in Deutschland gehalten? 

Insgesamt werden 20,7 Mio. Schweine in Deutschland gehalten (Stand 2023). Den höchsten Schweinebestand hat Niedersachsen mit 7,3 Mio., gefolgt von Nordrhein-Westfalen mit 6 Mio. Schweinen. In Schleswig-Holstein betrug die Anzahl der Schweine rund 1,03 Mio.1

Was ist Sojaextraktionsschrot, wofür wird es benötigt und wo kommt es her?  

Sojaextraktionsschrot ist ein Nebenprodukt bei der Herstellung von Sojaöl, was aus der Sojabohne gewonnen wird. Sojaextraktionsschrot ist eiweißreich und wird aufgrund des hohen Proteingehalts für die Tierernährung genutzt. Soja wird großflächig in Nord- und Südamerika angebaut. Deutschland hat 2022 etwa 3,4 Mio. Tonnen Sojabohnen2 importiert wovon der Großteil als Tierfutter verwendet wird3. Der weltweite Anbau von Sojabohnen hat sich zwischen 2010/11 und 2023/24 um über 50% gesteigert von 265 Mio. Tonnen auf 410,59 Mio. Tonnen.4 Weltweit werden insgesamt über 250 Mio. Tonnen Sojaextraktionsschrot und 60 Mio. Tonnen Sojaöl erzeugt.5  

 

Während unseres Rundgangs schauen wir uns die eigene Futterproduktion und die verschiedenen Lager an. Hier werden beide nicht müde, immer wieder Quizfragen zu stellen. Fragen wie: „Welches Getreide haben wir hier?“ und „Wann war der Mauerfall?“ sind nur einige Beispiele und zeigen, wie breit unsere Themen gefächert waren. Ich habe das Gefühl, ich werde getestet! Wir bekommen außerdem die Möglichkeit, die LKWs, in denen die Schweine und Ferkel transportiert werden, von innen zu sehen. Anschließend gehen wir in einen Maststall mit etwa 1000 Tieren und führen unser Gespräch dort weiter. 

Die unterschiedlichen Haltungsformen, der Vergleich zwischen ökologisch und konventionell, sowie Verbraucher*innenentscheidungen werden immer wieder thematisiert. Momentan wird der Hof nach konventionellen Richtlinien bewirtschaftet. Das sieht für Verbraucher*innen häufig weniger idyllisch und eher nach Unternehmen als nach „schöner“ Landwirtschaft aus. In Temmes Stall, den wir hier besichtigen dürfen, stehen die Schweine auf Vollspaltenboden, haben ein wenig Stroh und drei Spielzeuge in der Bucht zur Beschäftigung, sowie den ganzen Tag Zugang zu Futter. Die Schweine bleiben hier ihre gesamte Mastzeit (ca. 3,5 Monate und dem Alter von 6 Monaten) bis sie zum Schlachten abgeholt werden. Wenn man es sich so vorstellen möchte, befinden sich vier Buchten mit je 20 Tiere, d.h. rechnerisch 1 m2 pro Tier in einem Raum. So durchlaufen drei Durchgänge pro Jahr den Stall. Temme Struck erzählt, dass Besucher*innen bei ihm willkommen sind und sich den Stall inklusive Führung anschauen können. Mit Einbrüchen von Tierschützer*innen habe auch er zu kämpfen, wenn die sich jedoch anmelden würden, dann dürfen sie auch gerne in den Stall – sogar mit Führung.  

Jenna und Temme sind sich dessen bewusst, dass dies keine Landwirtschaft ist, die in Kinderbüchern oder Werbungen dargestellt wird. Diese Landwirtschaft ist darauf aufgebaut, wirtschaftlich zu sein und mit möglichst effizientem Input, in Form von Energie und Futterressourcen die getätigten Kosten (bestehend aus Ferkeleinkauf, Futter, Wärme und Arbeitszeit) zu decken und letztendlich Profit zu generieren.   

„Das was wir hier machen, entspricht ja der landläufigen Meinung nach, der Massentierhaltung. Und wir schauen immer, wie effektiv kann ich Fleisch herstellen. Brauche ich vielleicht 2,3 kg für ein Kilo Fleisch oder brauche ich wie in China 4 kg Futter für ein Kilo Fleisch. Ich habe natürlich einen wahnsinnigen Ressourcenverbrauch, wenn ich 4kg Futter brauche. Unser langfristiges Ziel, in Zusammenarbeit mit der Züchtung, ist es auf eine Futterverwertung nahe dem Geflügelniveau von 1,5 kg Futter pro kg Fleisch zu kommen.“, so Temme.   

Es scheint, als würde für beide das Thema Nachhaltigkeit in der Nutztierhaltung in erster Linie eine möglichst hohe Futterverwertung und dadurch effektive Ressourcennutzung für die Produktion von einem Kilo Schweinefleisch bedeuten. In der Schweinehaltung, so Jenna, ist die Futterverwertung des Schweines ein enormer Hebel und kann die Effizienz eines Unternehmens maßgeblich beeinflussen. Nachhaltigkeit, so Jenna, bedeute aber auch, einen Kreislauf zwischen Tierhaltung und Ackerbau, eine effiziente Nutzung, Erhaltung und Verbesserung der gegebenen Ressourcen, z.B. des Bodens, und der Erhalt des Familienbetriebs auch für zukünftige Generationen. 

 

Nachhaltigkeit und Landwirtschaft

Was aber bedeutet Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft?  

Das BMZ schlägt folgende Definition für Nachhaltigkeit vor: 

Nachhaltigkeit oder nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden. Dabei ist es wichtig, die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – wirtschaftliche effizient, sozial gerecht, ökologisch tragfähig – gleichberechtigt zu betrachten. Um die globalen Ressourcen langfristig zu erhalten, sollte Nachhaltigkeit die Grundlage aller politischen Entscheidungen sein.6 

Nachhaltigkeit bedeutet in einem andauernden Abwägungsprozess zwischen den oben genannten Zielkonflikten zu handeln, vielleicht sogar sich mal dem einen und mal dem anderen hinzugeben. Das Ergebnis sollte nicht ausschließlich immer zugunsten eines Zieles bzw. einer Dimension fallen. Ob mit einer Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft, wie sie Temme und Jenna Struck verstehen, wirklich auch ökologische und sozio-kulturelle Aspekte ganzheitlich eingeschlossen werden, ist zunächst fraglich. Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft heißt auch, ökologische Ziele (Umwelt-, Klima- und Tierschutz) und soziale Gerechtigkeit über finanzielle Erträge zu stellen. Dies kann aber nur dann möglich sein, wenn Landwirt*innen entsprechend honoriert werden. Wie mir es scheint, geht das am Besten über eine Form der monetären Wertschätzung. Die federführende Instanz sollte dann die Politik sein.  

Wie schon in einem vorherigen Interview angesprochen, gibt es Entwicklungen, die widererwartend nicht durch die Politik, sondern durch den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) forciert wurden. Bis 2030 soll nur noch Fleisch der Haltungsform 3 und 4 in einigen Supermärkten und Discountern verkauft werden.  

Landwirtschaft und Verantwortung

Was sind eigentlich Haltungsform-Stufen? 

Die Haltungsstufen Kennzeichnung sieht der*die Verbraucher*in direkt auf einem Produkt, unter welchen Haltungsbedingungen die Tiere gehalten wurden. Dies impliziert auch den Grad des Tierwohls. Die Haltungsform geht von Stufe 1 Stallhaltung bis Stufe 4 Premium. Mehr Informationen gibt es bei der Verbraucherzentrale

Innerhalb von einem Jahr, so Temme, könne er 5 von 10 Standorten auf Haltungsform 3 (Außenklima) oder 4 (Premium) umbauen. Das könne entweder durch die tatsächlichen Kaufentscheidungen der Verbraucher*innen passieren, durch Beschlüsse des LEHs nur noch Produkte aus gewissen Haltungsformen zu verkaufen oder durch politische Beschlüsse. Die Verantwortung warum nicht nach einer höheren Haltungsform produziert wird, wird dann aber häufig doch bei der*dem Verbraucher*in gesucht. So lange große Absätze mit günstigen Fleischprodukten erzielt werden, sieht Temme wenig Anreiz, das eigene Produktionsniveau zu erhöhen. Was ich auf eine gewisse Weise auch verstehen kann, denn Geld gilt doch gemeinhin als höchstes Anreizsystem in unserer Gesellschaft. Die Möglichkeit oder den komfortablen Ausweg, den*die Verbraucher*in verantwortlich zu machen, ist mir während meiner Interviewreihe bereits häufiger aufgefallen. Es mag wahr sein, dass Kaufentscheidungen einen erheblichen Einfluss auf die Produktionsprozesse von Unternehmen haben.  

Tatsächlich sehe ich aber auch eine gewisse Neigung der Landwirt*innen, die Verantwortung abzugeben. Das mag etwas Menschliches sein, hier fällt es mir hingegen wieder auf. Meinem Gefühl nach, ist eine Entscheidung hin zu mehr Tierwohl, einer eher ökologischeren Bewirtschaftung oder einer höheren Haltungsform noch immer häufiger eine ideelle Entscheidung. Wenn Menschen gut leben, mit dem was sie tun, gibt es meist wenig bis keinen Anreiz etwas zu ändern.  

Um die Verbraucher*innenperspektive noch einmal einzufangen, bin ich besonders aufmerksam durch den Supermarkt meiner Wahl gegangen und mir ist aufgefallen: Es gibt lediglich ein sehr schmales und oftmals nur aus Handelsmarken (eine Marke, die in dem Besitz eines Händlers, z.B. einer Supermarktkette ist) bestehendes Bio-Sortiment. Dadurch werden Verbraucher*innen stark eingeschränkt ökologisch produzierte Lebensmittel zu kaufen, also mehr Geld für biologisch produzierte Lebensmittel auszugeben. Der Lenkmechanismus des LEHs ist nicht neu und klar zu sehen. Das heißt aber auch, den Verbraucher*innen allein die Verantwortung zu geben, ist sehr eindimensional gedacht, wenn die Auswahlmöglichkeit so dermaßen eingeschränkt ist. Nichtsdestotrotz ist der wichtigste Einflussfaktor auf das Kaufverhalten von Verbraucher*innen nicht Verbraucher*innenbildung, sondern wirtschaftliche Anreizsysteme, die Supermärkte etablieren können.7 Wie können wir Anreizsysteme schaffen, die Menschen motiviert, Produkte aus Haltungsstufe 3 oder 4 oder ökologisch produzierte Lebensmittel zu kaufen? 

Landwirtschaft und globale Verantwortung

Der Blick auf die Landwirtschaft und auch die Schweinemast in S-H ist einer, der für manche Menschen schwer sein kann. Landwirtschaft – gerade, wenn sie konventionell betrieben wird – ist aus der Sicht vieler Akteur*innen häufig nur profitorientiert. Das sehe ich auch bei Familie Struck. Dem Markt wird vertraut, der Politik aber nicht. Eine Mischform zwischen konventioneller und ökologischer Landwirtschaft wäre etwas, das sich Temme und Jenna vorstellen könnten. Die Richtlinien der ökologischen Landwirtschaft werden bei beiden als Zwang empfunden, der die eigene Entscheidungsfreiheit zu sehr einschränkt. Es gibt ein globales Konzept, dass sich auf nachhaltigen Anbau und den Erhalt natürlicher Ressourcen konzentriert, soziale Gefüge stärkt und die Entscheidungsfreiheit bei den Landwirt*innen belässt: die Agrarökologie. Keine Richtlinien, die es einzuhalten gilt, aber auch kein ausschließlicher Verlass auf den Markt. Agrarökologie heißt die eigene Rolle in der globalen Gesamtheit eines Abhängigkeitsverhältnisses zu sehen und in diesem Spannungsfeld zu handeln. Hier greifen auch die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen und deren Wirkkraft auf die globale Landwirtschaft. Der Erhalt von traditionellem Wissen und die Anwendung ökologischer Ansätze werden eine höhere Resilienz in der Landwirtschaft schaffen8. Ein Wachstum, ein Weiter-so oder der ausschließliche Verlass auf den Markt wird die bereits vorherrschenden globalen Krisen (Klima- und Biodiversitätskrise) nur verschlimmern. Die Ernährung zu sichern und die Umwelt und Menschen zu schützen, schließt sich nicht aus. In dieser Situation, in der wir uns gerade befinden, sollten Systeme neu gedacht werden – und zwar mutig. Agrarökologie kann helfen genau diese Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, Tieren, Menschen, Konsum, Handel und Agrarpolitiken zu analysieren. Eine zukünftige Landwirtschaft darf nicht nur reagieren, sondern vorausschauend agieren.  

Zudem ist ein solches Handeln höchst unsolidarisch. Temme und Jenna sehen sich nicht als Welternäher*innen, sagen aber, dass biologische Landwirtschaft mit weniger Ertrag pro Hektar nicht zu einer wachsenden Weltbevölkerung passt. Auch jetzt herrscht Hunger in vielen Teilen der Welt, obwohl genug auf den Feldern produziert wird. Es handelt sich hierbei nicht um ein landwirtschaftliches Problem, sondern um ein Verteilungs- und Machtproblem, mit dem wir – auch in S-H – tief verwoben sind. Verantwortung tragen heißt auch, die eigene anzuerkennen! 

Zu einer wachsenden Weltbevölkerung würde eine eher diverse, resiliente Landwirtschaft passen, die alle ernährt, Ressourcen pflegt, schont und aufbaut. Auf meine Frage, was die beiden Verbraucher*innen aus der Stadt gerne mitgeben würden, antworten sie: „Wir für euch. Ihr mit uns. Macht euch selbst eine Meinung.“ Dem kann ich mich nur anschließen! Finde eine*n Landwirt*in in der Nähe und komme ins Gespräch, unterschiedlicher Meinungen sind dabei stets Willkommen und ein Perspektivwechsel für alle Seiten immer wertvoll.  

Dieses Interview hat mich aufgewühlt. Es ist anders als die vorherigen und ich mache mir viele Gedanken. Es soll zudem das Letzte dieser kleinen Reihe gewesen sein. Ich hoffe, ich konnte die ein oder andere Person zum Nachdenken anregen. Danke an dieser Stelle an Temme und Jenna Struck, die mich sehr offen empfangen haben, obwohl ich „ein wenig grün“ bin. Ich danke natürlich auch allen anderen Landwirt*innen, die diese Reihe zu dem gemacht haben, was sie ist.  

Ein Interview wird wahrscheinlich noch folgen mit Rixa Kleinschmit von der CDU. Sei also gespannt und empfehle uns ruhig weiter! 

 
 
 
 
[7] Hartmann-Boyce et al. (2018): Grocery store interventions to change food purchasing behaviors: a systematic review of randomized controlled trials, University of Oxford, United Kingdom, https://doi.org/10.1093/ajcn/nqy045
[8] Hauser (2023): In Systemen denken, Wie man durch Agrarökologie krisenfeste Ernährungssysteme aufbaut, Kritischer Agrarbericht 2023, S.21-28

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