Faire Hallig
Einblicke aus Hooge
Text: Benjamin Hellwig
Fotos: Fridtjof Stechmann und Benjamin Hellwig
Die Hallig Hooge im nordfriesischen Wattenmeer ist die erste Hallig mit Fairtradeurkunde. Hinter der Auszeichnung steht eine erfolgreiche Vernetzung von Personen aus Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft. ZUKUNFT.GLOBAL zu Besuch bei Akteuren, die sich von hier aus für gerechte, respektvolle und transparente Handelspartnerschaften einsetzen, um insbesondere Arbeiter und Produzenten im globalen Süden zu stärken.
Sitzt die „Hilligenlei“ fest? Das Fährschiff der Wyker Dampfschiffs-Reederei dreht zwischen Schlüttsiel und Hallig Hooge lautstark den Dieselmotor auf. Die Bug- und Heckstrahlruder geben gute zwanzig Minuten lang immer wieder volle Kraft. Nordseeschlick wird strudelartig an die Wasseroberfläche gespült. Neugierig und sorgenvoll blicken zahlreiche Touristen über die Bordwand an diesem sommerlichen Dienstagmorgen. Pure Gelassenheit drücken dagegen die Gesichter von Postbote und Lebensmittellieferant aus. Wir orientieren uns an der Routine der Vielfahrer dieser Strecke und gehen gelassen die steilen Stufen in den Salon hinunter. Es ist gerade auflaufendes Wasser, der Kapitän wird die Herausforderung schon meistern.
Wir sind auf dem Weg zur weltweit ersten Fairtrade-zertifizierten Hallig. Hooge trägt seit November 2017 die Urkunde der Kampagne „Fairtrade-Towns“, mit der der Kölner Verein TransFair seit 2009 den globalen gerechten Handel auf kommunaler Ebene stärken möchte. Die Auszeichnung steht auch für eine erfolgreiche Vernetzung von Personen aus Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft, die sich in ihrer Heimat für gerechte Arbeitsbedingungen bei der Produktion von Gütern wie beispielsweise Kakao, Bananen oder Kaffee stark machen.
Passend zum Thema steht einladend auf der Menükarte vor der kleinen Schiffskombüse: „Die beste Methode, das Leben angenehm zu verbringen, ist, guten Kaffee zu trinken.“ Ein Satz, den sicher viele Liebhaber des Heißgetränks aus Siebträgergerät oder Vollautomat zunächst bedingungslos unterstreichen würden. Doch was macht einen Kaffee zu einem guten Kaffee? Geruch, Geschmack, Genuss, klar. Wie aber steht es um die Lebensbedingungen derer, die für Anbau und Ernte der Kaffeekirschen auf den Plantagen in Ländern des globalen Südens verantwortlich sind? Welchen Einfluss haben wir durch unseren Konsum auf Aspekte wie Umweltzerstörung durch Monokulturen und Pestizide, Entlohnung unter dem Existenzminimum oder ausbeuterische Kinderarbeit? Mit dem Attribut „fair gehandelt“ kann der Smutje an Bord auf unsere Nachfrage hin jedenfalls nichts anfangen. Die spätere Recherche ergibt: Sein Kaffeelieferant hätte zumindest fair gehandelte Sorten im Angebot.
Die Zahl derer, denen bessere Handelsbedingungen und die Sicherung sozialer Rechte für benachteiligte Produzenten und Arbeiter insbesondere in Ländern des globalen Südens wichtig sind, wird jedenfalls größer. Laut dem Verband „Forum Fairer Handel“ verzeichnete 2017 der Absatz von fair gehandelten Lebensmitteln und Handwerk in Deutschland gegenüber dem Vorjahr einen Zuwachs von 13 Prozent. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich der Umsatz im Fairen Handel gar verfünffacht. Blickt man auf den Gesamtabsatz von Röstkaffee in Deutschland, kommen auf jede Tasse fair gehandelten Kaffees noch immer rund 20 Tassen konventionellen Kaffees.
Ein wenig später schlendern wir zu Fuß über die Hallig. Die Erhebungen einiger der zehn bewohnten Warften, kleine aufgeschüttete Siedlungshügel, sind in der Weite der Salzwiesen auszumachen. Priele schlängeln sich durchs Grün, hier und da grasen ein paar Schafe. Rund fünfmal im Jahr kehrt sich dieses idyllische Bild um: Bei Landunter überflutet die Sturmflut den elf Kilometer langen Sommerdeich. Die rund 100 Bewohner harren dann zusammen mit Halligbesuchern auf den winzigen verbliebenen Flächen der Warften aus, so lange, bis die Gezeiten wieder wechseln und das Wasser sich zurückzieht. Ein solches Szenario droht heute nicht. Bis zur Hanswarft benötigen wir zu Fuß eine knappe halbe Stunde.
„Die jungen Menschen sind der Motor des Themas Fairer Handel hier auf Hooge.“
Im Nationalpark-Seminarhaus Hooge, einer Bildungsstätte der Schutzstation Wattenmeer, treffen wir Hausleiter Michael Klisch. Er ist Ideengeber der Initiative Fairtrade-Hallig Hooge und erzählt, wie ihn ein Winterurlaub 2015 auf Langeoog inspirierte. Die ostfriesische Insel wird 2015 als erste Insel Fairtrade-zertifiziert. Zusammen mit Marie Neuhaus, die damals ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) im Hooger Seminarhaus absolviert, recherchieren sie und bringen die Bewerbung für die Hallig in Gang. Der Prozess, den die gebildete Steuerungsgruppe aus den Bereichen Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft koordiniert, dauert länger als erwartet. „Unsere Kleinteiligkeit hier passte nicht immer zu den üblichen Kriterien einer Fairtrade-Town“, sagt Klisch. So müssen zertifizierte Kommunen beispielsweise im Bürgermeisterbüro fairen Kaffee ausschenken – da aber der Hallig-Bürgermeister von zu Hause aus arbeitet, passt das Kriterium hier nicht. Vier Generationen an FÖJ-lerinnen arbeiten sich durch die Bewerbungsphase, dann kommt es im Ende 2017 zur Auszeichnung. „Die jungen Menschen sind der Motor des Themas Fairer Handel hier auf Hooge. Besonders durch ihr Engagement haben wir es geschafft und sind stolz darauf“, sagt Klisch.
Fairtrade Towns
Neben Hallig Hooge positionieren sich inzwischen mehr als 540 zertifizierte Kommunen in Deutschland als engagierte Akteure mit sozialer Verantwortung. Weitere Informationen zur Bewerbung als Fairtrade Town unter www.fairtrade-towns.de.
Kerrin Bertram kommt hinzu. Die 18-Jährige hat kürzlich ihren Bundesfreiwilligendienst hier begonnen, kennt aus ihrer Heimat Kaltenkirchen das Thema Fairer Handel sowie die Fairtrade-Towns-Kampagne und steigt nun mit frischen Impulsen in das Engagement ein. „Ich bin gespannt darauf, die Vorzüge und Hintergründe der Produkte den Gästen der Hallig näherzubringen“, sagt sie. Zudem sei sie daran interessiert, an passenden Unterrichtseinheiten für Seminarhaus-Gruppen wie Schulklassen zu arbeiten. Auch die bereits etablierten Fairtrade- Frühstücks-Treffen mit Gästen und im Schulumfeld will sie weiterführen.
Die Bildungsstätte betreut eigene Hausgäste, leitet Führungen im Watt und auf der Hallig und versorgt auch die drei großen Jugendunterkünfte mit angepassten Programmen. „Wir sind auch betreuender Verband für die Naturflächen auf der Hallig und führen daher Vogelzählungen, Bestandserfassung und Müllkontrollen des Spülsaums durch“, sagt Klisch. Zudem gibt es eine Ausstellung für Tagesgäste mit rund 15.000 Gästen im Jahr. In seinem Team leisten neben Kerrin zwei weitere Bundesfreiwilligendienstler, zwei FÖJ-ler und im Sommer ein bis zwei Praktikanten die vielfältige Arbeit. Zu den 700 Einzelveranstaltungen im Jahr mit fast 10.000 Teilnehmern gehört auch eine Führung über die Hallig unter dem Motto „Was braucht man zum Leben?“. Neben den Themen Halligentstehung, Sturmfluten oder naturverträglicher Energieeinsatz blickt der Rundgang auch in die Halligkirche auf der Kirchwarft. „Sie ist Teil des Halliglebens“, sagt Klisch. Wir machen uns mit ihm auf den Weg.
„Es braucht viele kleine Schritte, um die Leute zu sensibilisieren.“
„Ich denke, zum Leben hier gehört auch die Möglichkeit, fair gehandelte Produkte einkaufen zu können“, sagt er überzeugt, als wir auf dem schmalen Asphaltweg zwischen den Salzwiesen hinüber zur zwei Häuser zählenden Warft mit Ringwall fahren. Im Pastorat der Kirchengemeinde Hooge steht der wohl ungewöhnlichste Eine-Welt-Laden Schleswig-Holsteins. Gertrude von Holdt-Schermuly betreut ihn heute. Die Prädikantin der Gemeinde ist seit drei Jahren ähnlich einer Pastorin für die Pfarrstelle und damit für Taufen, Beerdigungen oder Trauungen zuständig. Sie sitzt neben einem aufgeklappten, bunt verzierten Wandschrank aus Holz, vor ihr eine kleine Kasse, zahlreiche Gäste schauen sich um. Das fair gehandelte Angebot reicht von verschiedenen Sorten Kaffee und Tee über Schokolade, Weiß-, Rosé- und Rotwein, Honig, Senf, Hummus und Gewürzen bis hin zu Schokoriegeln, Bonbons, Keksen, Kakao, Nuss-Nougat-Creme und getrockneten Mangos.
„Das hier ist ein guter Anknüpfungspunkt für unsere Halliggäste. Es sind Urlauber dabei, die das Thema bereits zu Hause verfolgen, aber auch Menschen, die hier zum ersten Mal sagen, das probieren wir einfach mal. Es braucht viele kleine Schritte, um die Leute zu sensibilisieren“, sagt von Holdt-Schermuly. Viele Gäste kämen jedes Jahr wieder hierher, um sich zu versorgen. Bei den Halligbewohnern habe sich der Laden allerdings noch nicht so gut etabliert. „Generell wird gut gekauft. Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell inzwischen einige Sachen leergekauft sind“, ergänzt Klisch. Der 52-Jährige kennt die Thematik fair gehandelter Produkte bereits seit seiner Zeit als Schüler, als er sich in einem Bremerhavener Weltladen engagierte. Lange trägt er den Gedanken mit sich, einen eigenen Weltladen auf Hooge zu installieren. Schließlich überzeugt er die Kirchengemeinde und realisiert den kleinen Laden 2011 auf der Kirchwarft. Seitdem betreuen ihn Seminarhaus-Mitarbeiter und Mitglieder der Kirche immer nach dem Gottesdienst und dienstagnachmittags.
Zurück auf der Hanswarft werfen wir vor dem Rückweg zum Fähranleger noch einen Blick in den Laden des Halligkaufmanns. Die kleine Edeka-Filiale führt neben den bei der Zertifizierung mindestens drei geforderten Produkten aus fairem Handel einige weitere zertifizierte Artikel. Nur was auch laufe, werde ins Sortiment aufgenommen, kommentiert der Kassierer. „Hooger kaufen ihre Lebensmittel überwiegend über die örtlichen Einkaufsmöglichkeiten“, sagt Klisch. „Es ist ein Ort mit wichtiger sozialer Komponente, an dem man sich trifft und austauscht. Zudem ist er bedeutend für unsere Gäste. Auf Langeneß gibt es bereits keinen Laden mehr. Und generell gilt: Je länger man hier wohnt, desto mehr vergisst man, wie gut andere Läden auf dem Festland sortiert sind“, sagt er und lacht.
Am Fähranleger ist die „Hilligenlei“ noch nicht in Sichtweite. Die Wartezeit können Gäste und Bewohner zukünftig sinnvoll überbrücken. Hier wird bald ein Fairomat stehen. Die Bestellung für den Automaten mit fairen Snacks läuft bereits. Warum nicht mal neue Wege gehen?
Sie möchten auch in Ihrer Kommune globale Verantwortung übernehmen und Fairen Handel verankern?
Gerne berate ich Sie zu Chancen und Möglichkeiten, vor Ort aktiv zu werden.
Markus Schwarz |
|