Multitalent Moor
Renaturierung bringt wirkungsvollen Klimaschutz zurück
Text: Benjamin Hellwig
Fotos: Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein
Aus trockengelegten und kultivierten Moorflächen entweicht fast ein Fünftel der durch Menschen verursachten Treibhausgase. Das Königsmoor im Kreis Rendsburg-Eckernförde zeigt: Die Renaturierung solcher Ökosysteme stellt einen bedeutenden Lebensraum mit natürlicher Klimaschutzwirkung wieder her. Mit MoorFutures®-Zertifikaten können sich Schleswig-Holsteiner direkt an diesem Prozess beteiligen und ihren CO2-Fußabdruck verkleinern.
Moorland Schleswig-Holstein: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bedeckten Hoch- und Niedermoore noch rund ein Zehntel der Landesfläche von heute. Die besondere organische Substanz dieser Böden aus abgestorbenen, aber unvollständig abgebauten Pflanzenresten, entwickelte sich über Jahrtausende. Diese Landschaften haben sich im Laufe der Zeit jedoch stark verändert. Wo einst überstaute Böden seltenen Pflanzen und Tieren Lebensraum gaben, sorgten systematische Entwässerungsmaßnahmen für ein völlig neues Bild. Durch das Anlegen von Kanälen, Gräben und Drainagerohren optimierten die Landschaftsbauer insbesondere in der Zeit der Industrialisierung die Bodenqualität für die landwirtschaftliche Nutzung.
Die Wiedervernässungsmaßnahmen sollen die aktuellen Emissionen von CO2, Methan und Lachgas stoppen.
Das Ödland wurde sukzessive urbar gemacht und brachte neue Acker- und Grünlandflächen. Die Nutzung von Torf als Brennmaterial und Dünger trieb die Entwicklung weiter voran. Wer heute auf Feldwegen zwischen jenen Flächen spaziert, kann kaum noch erahnen, dass die Untergründe hier einst nass und sumpfig waren. Die typische Vegetation hochspezialisierter Pflanzenarten, wie Sonnentau, Wollgras oder Torfmoos, ist mit der Trockenlegung komplett gewichen. Die neuen Böden liegen durch Sackungen weitaus tiefer, abgestorbene Pflanzenreste stehen nicht mehr unter Luftabschluss und bauen sich ab. Die Böden mineralisieren, die weitere Torfbildung bleibt aus.
Neben diesen sichtbaren Veränderungen für Flora und Fauna kommt ein weiterer bedeutender Aspekt hinzu, der weniger greifbar ist: Die über Jahrtausende aufgebauten Kohlenstoffvorräte liegen mit der Kultivierung offen, entweichen in die Atmosphäre und sind für bis zu 20 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgase verantwortlich. „In diesen unter Kultur genommenen Flächen oxidiert der zuvor gebundene Kohlenstoff im Torf großflächig“, sagt Ute Ojowski, Geschäftsführerin der Ausgleichsagentur Schleswig-Holstein GmbH. Dagegen seien intakte Moore mit einem Wasserüberschuss aus Niederschlägen und Grundwasser überaus effektive CO2-Speicher. Ihrer Renaturierung komme daher eine bedeutende Rolle im Klimaschutz zu.
Die typische Vegetation hochspezialisierter Pflanzenarten, wie Sonnentau, Wollgras oder Torfmoos, ist mit der Trockenlegung komplett gewichen.
Die Ausgleichsagentur ist eine Tochtergesellschaft der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein. Auf Teilen der Stiftungsflächen entwickelt und vermarktet sie etwa sogenannte Ökokonten. Sie dienen der gezielten, frühzeitigen Bevorratung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, um spätere Eingriffe in die Natur andernorts kompensieren zu können. An einem großflächigen Renaturierungsprojekt im Bereich des Königsmoors arbeiten Stiftung und Agentur ebenfalls eng zusammen. Hier engagieren sich die Projektmitarbeiter für die Wiedervernässung des seit dem 19. Jahrhundert sukzessive trockengelegten, 1.200 Hektar großen Areals. Die Basis dafür ist der komplette Nutzungsverzicht der zuletzt 20 Jahre lang als Weide genutzten Fläche, die Maßnahmen sollen die aktuellen Emissionen von CO2, Methan und Lachgas stoppen.
Mit schweren Maschinen errichteten beauftragte Spezialunternehmen Wälle aus vererdetem Torf für mehrere Zwischenkammerungen. Sie halten dort das Niederschlagswasser, wo vorher Gräben für dessen Abfließen sorgten. Der Bodenwasserspiegel steigt seitdem langsam wieder an. „Im Optimalfall können wir über regelbare Einstauungen die Wasserstandshöhen so anpassen, dass das Wasser rund zehn Zentimeter unter der Oberfläche steht. Dann hat man die maximale Rückhaltung an Treibhausgasen, und das ist das Ziel“, sagt Projektleiterin Ojowski. Bereits ein halbes Jahr nach dem Projektstart im Jahr 2011 sei der Boden wie ein Schwamm aufgegangen.
„Das ist ein sehr schönes erstes Bild, das uns zeigte, dass unsere Maßnahmen fruchten“, sagt sie. Nach und nach versumpfe die alte Grünlandvegetation, selbst erste Torfmoose seien bereits gewachsen.
Eine 68 Hektar große Teilfläche des Königsmoors in der Gemeinde Christiansholm stemmt die Ausgleichsagentur komplett ohne externe Fördermittel. Sie refinanziert die Kosten für die Wiedervernässung mit einem innovativen und interaktiven Ansatz: dem Klimaschutzzertifikat MoorFutures®. Privatpersonen und Unternehmen können sich seit Dezember 2014 durch den Kauf von MoorFutures® an Projekten wie diesem beteiligen - und damit den eigenen CO2-Fußabdruck teilweise kompensieren. Im Durchschnitt verursacht jeder EU-Bürger jährlich insgesamt rund elf Tonnen an CO2-Emissionen. Das klimaverträgliche Niveau beträgt laut Studien 2,7 Tonnen CO2 pro Person und Jahr. „Wir möchten dafür sensibilisieren, den eigenen CO2-Ausstoß zu verringern“, erklärt Mitarbeiterin Karen Marggraf. Durch eine ressourcenschonende Lebensweise können bekanntlich erhebliche Mengen Kohlenstoffdioxid vermieden werden. Hierzu bietet die Ausgleichsagentur einen Online-Klimarechner, der entsprechende Möglichkeiten und Effekte aufzeigt. „Und was übrig bleibt, kann über die Zertifikate ausgeglichen werden,“ ergänzt Marggraf. Deren Einnahmen fließen zweckgebunden in die Finanzierung des Königsmoorprojektes.
Klimaschutz für Schleswig-Holsteiner erlebbar zu machen, war eine zentrale Motivation bei der Gründung des Projekts. Das global bedeutende Thema sei trotz der großen medialen Präsenz hier vor Ort nicht greifbar, erklärt Projektleiterin Ojowski und ergänzt: „Dank MoorFutures® kann Jedermann mitten in Schleswig-Holstein den Klimaschutz unterstützen und mit bloßem Auge die Veränderung erkennen“. Reaktivierte Naturräume wie das Königsmoor vollbrächten dabei eine enorme Ökosystemleistung, die die Natur gratis zur Verfügung stelle, so Ojowski weiter. „Zudem haben sie einen touristischen Effekt: Es entstehen attraktive Landschaften, die als naturnah, wild und ursprünglich wahrgenommen werden,“ sagt sie.
Die Berechnung der CO2-Rückhaltung basiert auf dem von der Universität Greifswald entwickelten GEST-Modell. Darin werden die Treibhausgasemissionen einer Pflanzengemeinschaft bei entsprechendem Wasserniveau im Ausgangszustand ermittelt und mit den prognostizierten Emissionen nach Umsetzung von Vernässungsmaßnahmen verglichen. Aktuelle Wasserstände und Vegetationsveränderungen fließen in das Modell ein und führen zu einem verlässlichen Szenario. Durch diese Berechnungen ergeben sich für die 68-Hektar-Fläche genau 39.520 MoorFutures®-Zertifikate. Jedes von ihnen steht für eine Tonne CO2, die innerhalb des Projektzeitraums von 50 Jahren weniger in die Atmosphäre gelangt . Ein Zertifikat kostet 64 Euro.
„Dank MoorFutures® kann Jedermann den Klimaschutz unterstützen und mit bloßem Auge die Veränderung erkennen.“
Um einen Teil seiner Emissionen zu kompensieren, hat sich die H. Erhard Wagner GmbH aus Bremen als erstes Unternehmen dazu entschieden, MoorFuture®-Zertifikate aus Schleswig- Holstein zu erwerben. Das Handelsunternehmen für Naturwachse und -öle gleicht damit unvermeidbare Überseeimporte aus, wie sie etwa beim Handel aus Schafwolle gewonnenen Lanolin anfallen. „Wir wollten den Ausgleich durch Beteiligungen an regionalen Projekten erlangen“, beschreibt Geschäftsführer Steffen Wagner die Motivation. Zudem sei mit der Renaturierung des Königsmoors ein selten gewordener Lebensraum für viele Pflanzen- und Tierarten wiedererschaffen worden.
Auch zahlreiche Privatpersonen engagieren sich inzwischen mit Klimaschutzzertifikaten für die Renaturierung des Königsmoors. Die Kompensationen reichen von einer einzelnen Flugreise bis hin zum Ausgleich der Jahresemissionen eines Vier-Personen-Haushalts. Von den drei MoorFutures®-Projekten in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein bieten die Nordlichter die größte Anzahl an Zertifikaten. Allerdings seien bisher nur rund zwei Prozent davon verkauft, so Karen Marggraf, „da ist noch Luft nach oben“.
Klimarechner der Ausgleichsagentur Schleswig-Holstein GmbH:
www.moorfutures-schleswig-holstein.de
Mehr Infos zu den MoorFutures® Klima-Zertifikaten:
www.moorfutures.de