Nachgefragt

Nachhaltige Mode aus Lübeck und Kalkutta

Text: Paul Walther

Roxane Posack gründete Green Size, um den Kreislauf der Textillieferkette zu durchbrechen.

In vielen großen Fashion-Produktionsstätten in Asien sind angemessene Sozialstandards nach wie vor Fehlanzeige. Das Modelabel Green Size aus Lübeck geht bewusst einen anderen Weg. Der Großteil der Kollektion wird von zwei Näherinnen in Indien hergestellt. Den anderen Teil produziert die Gründerin des Labels, Roxane Posack, in einer kleinen Werkstatt in Lübeck. Die Näherinnen, die Mode für Green Size produzieren, arbeiten für die Organisation Calcutta Rescue. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, die medizinische Versorgung und die Lebensumstände von Bedürftigen in Kalkutta und Westbengalen zu verbessern. Dafür werden Bildung und Ausbildung der Menschen gefördert. Die NGO zahlt ihren Angestellten einen festen Lohn oberhalb des gesetzlichen Mindestlohns. Diese produzieren nicht im Akkord, wie es in der Textilproduktion noch oft üblich ist. Es werden bewusst Personen mit körperlichen Einschränkungen beschäftigt und Arbeitszeiten deutlich unter 40 Wochenstunden eingehalten. Die Arbeitszeit wird schriftlich festgehalten und ist so auch für Posack nachvollziehbar, wenn sie nicht im Land ist. Die Näher*innen und ihre Familien erhalten kostenlosen Zugang zu medizinischer Versorgung, Urlaubsanspruch sowie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Organisation stellt auch ein kostenfreies Schulangebot für die Kinder der Angestellten bereit. All diese Dinge werden in Deutschland als selbstverständlich wahrgenommen, besonders in der Textilindustrie in Asien sind sie es keineswegs.

Augenhöhe mit meinen Produzentinnen ist mir sehr wichtig, dafür brauche ich den persönlichen Kontakt.

Roxane Posack

Kund*innen wollen mit gutem Gewissen einkaufen

Green Size ist keine gemeinnützige Organisation, sondern ein wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen.
Denn die Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit den Produzent*innen ist nicht nur fair, sie ist auch gut für das Geschäft. Der konventionelle Textilmarkt ist schwer umkämpft. Mit einer fair produzierten Kollektion sticht das Label aus der Masse hervor. Kund*innen wissen mittlerweile zu schätzen, mit einem besseren Gewissen einzukaufen. Um ihren Ansprüchen zu genügen, reist Posack jährlich für mehrere Wochen nach Kalkutta. Von dort stammen auch die Stoffe für die Green Size-Mode. Sie werden in einer Fabrik ganz in der Nähe von Kalkutta produziert. Das Material stammt aus Überproduktionen
größerer Abnehmer*innen in der Region. So werden zusätzlich Aufwand beim Transport, Geld und Ressourcen gespart.

Die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Green Size und Calcutta Rescue hat sich vor 4 Jahren eher zufällig ergeben. Roxane Posack glaubt jedoch, dass sich die Suche nach langfristigen und vertrauenswürdigen Partner*innen für die Produktion in jedem Fall lohnt. Die beste Methode solche Partner*innen zu finden, sei nach wie vor in das Land zu reisen, in dem man produzieren möchte und regelmäßig vor Ort zu sein. Vor Ort sein, sich von der Produktionsweise ein eigenes Bild machen – nur so kann es ihrer Meinung nach funktionieren, dass produziert wird, wie es die eigenen Maßstäbe verlangen.

Denn es bestehen immer noch große Unterschiede in der Auffassung von fairen Arbeitsbedingungen.

Jobs konnten auch während Corona gesichert werden.

Aufgrund der Reise- und Lieferbeschränkungen war es 2020 und 2021 für Green Size nicht möglich, die Zusammenarbeit mit den Näher*innen von Calcutta Rescue aufrechtzuerhalten. Ohne den persönlichen Kontakt konnte die Kollektion nicht gemeinsam erarbeitet werden, sodass die gesamte Kollektion in Handarbeit in Lübeck produziert wurde. Die Jobs der Beschäftigten und das Einkommen ihrer Familien konnten über den Verein Calcutta Rescue gesichert werden. Die Zusammenarbeit mit Green Size soll schnellstmöglich fortgesetzt werden.

Green Size ist ein kleines Eine-Frau-Unternehmen und muss dabei auch Prioritäten setzen. Jeder Schritt der Produktion kann nicht persönlich überprüft werden. Beim Anbau der Baumwolle vertraut die Un-ternehmerin deshalb dem GOTS-Siegel. Zertifizierungen sind ein wichtiges Mittel, um Vertrauen bei Kund*innen zu schaffen. Allerdings sind Zertifikate teuer und Green Size kann es wirtschaftlich noch nicht stemmen, selbst ein Zertifikat zu tragen. Für das Vertrauen der Kund*innen legt Green Size des-halb größten Wert auf Transparenz. Auf dem Blog des Labels können deshalb die Lieferketten genau nachverfolgt werden. Jede*r Zulieferer*in ist hier aufgeführt.

Transparenz und Regeln schaffen Vertrauen

Die Lieferketten so genau zu kennen, kostet Green Size natürlich auch Arbeit, Zeit und Geld, besonders da das kleine Label auf wenig bestehende Infrastruktur zurückgreifen kann. Diese Ressourcen inves-tiert die Unternehmerin Posack allerdings gerne. Auf schnelles Wachstum ist ihr Unternehmen nicht ausgelegt. Denn die kleine Größe ihres Labels bietet ihr ein hohes Maß an Flexibilität und Freiheit. Freiheit, den Kreislauf der konventionellen Textilkette zu durchbrechen und außerhalb von vorgege-benen Strukturen zu Denken sowie neue Wege zu gehen.
Auch für „die Großen“ ist deutlich mehr Nachhaltigkeit drin, ist Posack überzeugt. Gerade mit den entsprechenden Infrastrukturen der großen Modemarken müsste ihrer Einschätzung nach deutlich mehr im Bereich menschenrechtliche Sorgfalt möglich sein. Deshalb hat sie sich auch aktiv für ein deutsches Lieferkettengesetz engagiert. Das Gesetz könnte jetzt für mehr Vertrauen zwischen Kund*innen und Hersteller*innen sorgen, wo bereits ernsthaft auf die Einhaltung der Menschenrechte geachtet wird. Überall sonst sei es höchste Zeit, genauer hinzuschauen.

Ich habe mich für das Lieferkettengesetz engagiert, es wird hoffentlich für mehr Vertrauen sorgen.

Roxane Posack

Weitere Infos

Die Kollektion von Green Size sowie den Blog von Roxane Posack findet ihr unter www.my-green-size.de

Mehr Informationen zum Verein Calcutta Rescue gibt es unter www.calcutta-rescue.de

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