Nachgefragt

Sneaker mit Botschaft

Im Gespräch mit ethletic-Geschäftsführer Marc Solterbeck

Interview: Benjamin Hellwig
Fotos: www.ethletic.com

Einem im Geschäft stehenden Paar Schuhe sieht man seine Entstehungsgeschichte nicht direkt an. Wie steht es um die Arbeitsbedingungen der Menschen, die bei der Fertigung beteiligt waren? Welchen Einfluss hatte die Produktion auf die Umwelt? ZUKUNFT.GLOBAL im Gespräch mit Marc Solterbeck, Geschäftsführer der Fairtrade-zertifizierten Marke ethletic aus Lübeck, über faire, nachhaltige, vegane Sneaker.

Ethletic-Geschäftsführer Marc Solterbeck im Dialog vor Ort in Pakistan

Hallo Herr Solterbeck, „to sneak“ könnte man mit „heranschleichen“ oder „heimlich weitergeben“ übersetzen. Müsste man mit einem aus fairem Handel entstandenen Sneaker nicht laut auftreten, damit möglichst viele Menschen einen hören?
Ja, und das wird auch noch passieren! Neben unseren Schwerpunkten Fairer Handel und Nachhaltigkeit der Produkte arbeiten wir gerade daran, wie wir auftreten werden. Und dann wird das Auftreten etwas lauter werden. Ein kurzer Blick zurück zum besseren Verständnis: Unser Ursprung ist ein Fairtrade-Projekt von 2004. Alles begann damit, als wir in Pakistan eine Manufaktur unter den Schirm der Fairtrade-Spielregeln stellten. Entsprechend mussten wir uns erst weiter entwickeln, um marktgerechte Produktqualität herzustellen. Wir sind jetzt bei den Themen Produktqualität und Design auf Augenhöhe mit den größeren Marktbegleitern. Vorher wollten wir nur das versprechen, was wir auch halten konnten. Deswegen ist das Auftreten in der Öffentlichkeit noch relativ leise gewesen.

Geben Sie uns doch mal einen Einblick hinter die Kulissen fairer Schuhe. Welche Herausforderungen und Widerstände bestehen dabei, Rohstoffe und Produkte aus durchgängig fair gehandelten Lieferketten zu beziehen?
Das ist eine Sisyphosarbeit! Zum Einen steht uns nicht der große Blumenstrauß aus Herstellern, Materialien und Lieferanten zur Verfügung, auf den der allgemeine Wettbewerb zurückgreift. Uns bleiben die zertifizierten 1-2 Prozent aller Zuliefererartikel. Die zweite Schwierigkeit: Wir müssen oftmals gewisse Mengen abnehmen, damit Produktionsbedingungen auch wirtschaftlich sind. Baumwollspinnereien beispielsweise sind riesige Anlagen. Wenn wir für eine Kollektion 20.000 Meter Stoff benötigen, schmunzeln die Hersteller, weil sie das in fünf Minuten ableisten könnten. Für diese fünf Minuten aber würden sie nicht ihre gesamte Anlagen reinigen und auf Biobaumwolle umstellen. Wir brauchen viel Geschick, Überzeugungsarbeit und Präsenz vor Ort, um diese Hersteller von den Ideen und Märkten der Nachhaltigkeit zu überzeugen.

„Wir achten darauf, Rohstoffe nur aus Plantagen zu beziehen, in denen keine Lebensräume vernichtet werden.“

Marc Solterbeck
Feinschliff und Qualitätskontrolle beim Modell Fair Trainer White Cap

Woher beziehen Sie aktuell den Rohstoff Baumwolle?
Wir unterstützen Kooperativen, sind auch selbst Initiator einer Kooperative in Indien. Sie fing mit einem Biobaumwollbauern an, inzwischen sind es rund 15.000 Bauern, die unter fairen Bedingungen ihre Biobaumwolle anbauen. Das hat sich toll entwickelt! Vor zwei Jahren haben wir eine weitere Baumwoll-Kooperative mit inzwischen 15 Bauern in Pakistan gegründet. Und es werden mehr, da die Bauern besser entlohnt werden können. Die Mengen dort genügen bereits jetzt, um unsere Kapazitäten zu decken.

Mitarbeiter beim Einpinseln der Brandsohlen mit Latexmilch

Können Sie weitere unmittelbare Erfolge ihres Engagements für Mensch und Umwelt aufzeigen?
Mit einer Fairtrade-Lieferkette schaltet man die Zwischenhändler regional aus. Das sind die bösen Wichte, die die Bauern um ihren Ertrag bringen. Sie versprechen auf der einen Seite, dass sie ihnen die Erträge abnehmen, verkaufen ihnen aber auch eine Abhängigkeit in Form von Saatgut und Dünger für die nächste Saison. Zudem verschulden sich die Bauern bei ihnen über Kredite. Nehmen wir die aus dem Rennen, entstehen viele Vorteile für die Bauern. Es gibt dann Ansprechpartner in sozialen Belangen, sie werden beim Verkauf ihrer Baumwolle nicht mehr übervorteilt. Wenn man es schafft, einen Unternehmen zu überzeugen, sich nach Fairtrade-Richtlinien zertifizieren zu lassen und danach zu arbeiten, hat man eine riesige Wirkung bei der Belegschaft: Vernünftige Arbeitsbedingungen, gesicherte Bezahlung, Mitsprache- und Widerrufsrecht. Zudem fühlen die Arbeiterinnen und Arbeiter, dass sie eine Stimme haben, auch bei uns im Westen. Sie sind dann nicht Sklaven unserer Gesellschaft, sondern erfahren eine Wertigkeit. Und das kommunizieren sie auch in ihrem privaten Umfeld, sodass sich das Bild des Westens dort stark verbessert und posotove Werte übernommen werden.

Die größte Wirkung bei Umweltthemen haben wir bei Färbereien. Fairtrade-Zertifikate erhalten Unternehmen nur, wenn sie Filter und Rückgewinnungen einbauen. Spürbar werden dann von einem Tag auf den anderen keine Flüssigkeiten mehr in den Nachbargraben geleitet, stattdessen wird das Wasser geklärt. Ein weiterer Vorteil ist der Verzicht von genmanipulierter Saat beim Baumwollanbau.

Handarbeit: Eintauchen des Schuhs in Latexmilch

Wo fertigt Ethletic seine Produkte?
Es ist ein Betrieb in Pakistan, der früher im großen Umfang fair gehandelte Fußbälle produziert hat. Wir konnten dadurch in die bestehenden Lieferketten von Kautschuk und Baumwolle eingreifen. Der Fabrikant hat daraufhin die nötigen Anlagen für die Schuhmanufaktur besorgt. Wir haben die Manufaktur zusammen mit ihm geplant und umgesetzt und arbeiten seitdem partnerschaftlich zusammen. Zudem gibt es einen zweiten Standort in Sri Lanka, wo wir einen Betrieb mit sehr viel Mühe davon überzeugen konnten, sich Fairtrade-zertifizieren zu lassen. Dessen Nähe zu den Kautschukplantagen ist für uns günstig.

„Geschick, Überzeugungsarbeit und Präsenz vor Ort, um diese Hersteller von den Ideen und Märkten der Nachhaltigkeit zu überzeugen.“

Marc Solterbeck
Werkstattatmosphäre im pakistanischen Produktionsgebäude

Welche Reisen zu Farmern, Produzenten und Mitarbeitern haben bei Ihnen Eindruck hinterlassen?
Oftmals sind die Themen der Menschen die gleichen wie hier bei uns. Auch dort haben Bauern Angst um ihre Ernte, blicken sorgenvoll auf die Arbeit. Die persönlichen Ziele sind stets, dass es den eigenen Kindern einmal besser gehen soll. Fragt man die Menschen in den Produktionsstätten nach ihren Wünschen, dann antworten sie: „eine gute Auftragslage, damit wir immer Arbeit haben“. Schön ist, was aus dem von uns ins Leben gerufenen Betriebsrat geworden ist. Die Arbeiter bekommen für jeden verkauften Schuh einen extra Betrag. Diese Gelder verwaltet die Belegschaft selbst. Der soziale Umgang damit beeindruckt mich. Nicht immer wird das Geld für die Mitglieder des Betriebes eingesetzt, es kam vor, dass ein Kollege darum bat, einen Teil für die Behandlung der an Kinderlähmung erkrankten Tochter eines Nachbarn zu verwenden.

Auch das Stanzen der Ösen bedeutet Handarbeit

Die Sneaker sind zudem vegan. Wie kam es dazu?
Wenn ich ehrlich bin, war das reiner Zufall. Wir wurden früher häufig danach gefragt. Daraufhin sind wir der Sache auf den Grund gegangen. Da wir keine synthetischen Kleber verwenden, sondern ausschließlich Naturlatex, war Knochenmehl schon mal kein Thema. Wir haben dann die Farben auf tierische Inhaltsstoffe überprüft und dort wie bei allen anderen Bestandteilen festgestellt, dass die Schuhe komplett vegan sind. Wir dachten uns, warum sollten wir das nicht mitteilen. Es passt zudem zu unserer Philosophie der Nachhaltigkeit. Wir achten darauf, Rohstoffe nur aus Plantagen zu beziehen, in denen keine Lebensräume vernichtet werden. Dies sind eher kleinbäuerliche Strukturen, in denen die Ökokultur erhalten bleibt.

Sie sitzen mit der Geschäftsführung von ethletic in Lübeck. Inwieweit gelingt es, dort diese Themen nach außen zu tragen?
Wir bemerken, dass man uns hier wahrnimmt, obwohl wir in der Region nicht intensiver werben als woanders. Wir spüren eine regionale Loyalität, haben beispielsweise überproportional viele Online-Kunden aus Schleswig-Holstein. Dennoch leben wir davon, dass wir überregional und international kommunizieren. Unsere Themen werden insgesamt gut angenommen.

Welche Wirkungen erzielt die Marke Ethletic bei Verbrauchern, was kann sie verändern?
Wir wollen nicht mit einem moralischen Zeigefinger durch die Gegend laufen. Eine unserer Hauptmissionen ist es, eine ethische Alternative anzubieten. Wir wollen dazu anregen, dass Konsumenten kurz innehalten und bemerken, dass es diese Alternative gibt. Sie unterscheidet sich qualitativ nicht von einem konventionellen Produkt, aber sie bietet mir einiges. Ziel dabei ist, dass bei unseren Konsumenten ein Prozess beginnt. Wir wünschen uns, dass sie darüber nachdenken, ob sie vielleicht auch andere Produkte ihres Alltags ersetzen können. Wir brauchen ein Umdenken zugunsten der Umwelt und unseres Lebensraums.

Vorbereitung der Vulkanisation

Woran merken Sie, dass dies geschieht?
Wir wachsen zweistellig, erfahren jedes Jahr mehr Zuspruch, die Resonanz ist enorm. Eine zunehmende Community interessiert sich für das Thema Fairer Handel. Wir spüren zudem sehr stark den Zuspruch über die sozialen Medien. Dabei sind auch viele Nachfragen von Schulen und Hochschulen, wir werden eingeladen, Vorträge zu halten. Das Interesse ist da!

Inwieweit motiviert Sie das?
Für mich ist dieses Feedback ein Bereich meiner Arbeit, der mir sehr viel Freude bereitet. Und es ist eine meiner Hauptantriebsfedern. Klar ist, dass wir wirtschaftlich abgesichert sein müssen und dass unsere Unternehmung funktionieren muss. Mein Anspruch aber ist, nicht das Unternehmen, sondern eine Idee groß zu machen. Der wirtschaftliche Erfolg steht nicht im Mittelpunkt.

„Wir brauchen ein Umdenken zugunsten der Umwelt und unseres Lebensraums.“

Marc Solterbeck

Welche Ziele und Visionen haben Sie mit Ethletic?
Es gibt die große und die kleine Vision (lacht). Die große: Wir wollen uns so entwickeln, dass wir eine nachhaltige und ernsthafte Alternative zu konventionellen Sportswearbrands darstellen. Die kleine Vision ist: Wir wollen die von uns in den Verkehr gebrachten Produkte so herstellen, dass wir sie nach der Nutzung wieder zurücknehmen können, um sie in Kreislauf zurückzuführen. Das ist unser nächstes Etappenziel. Wir sehen uns auch für das Leben danach in der Verantwortung. //

Weitere Infos:
www.ethletic.com

Fair Deal Trading GmbH
Spenglerstraße 19
D-23556 Lübeck
Tel.: +49(0)451-8806930
info@fairdealtrading.com

Unternehmen übernehmen durch ihr Handeln wirtschaftliche, gesellschaftliche und ökologische Verantwortung. Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit sind dabei zukunftsweisende Aspekte.
Gerne informiere ich Sie zu diesem Thema.

Lisa Jakob

    

 

Lisa Jakob
Promotorin für die Themen nachhaltige Beschaffung, Fairer Handel und Unternehmensverantwortung

Bündnis Eine Welt
Schleswig-Holstein e.V. (BEI)
Dachverband entwicklungspolitischer Organisationen

lisa.jakob@bei-sh.org
www.bei-sh.org/unternehmensverantwortung

 

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