Ein Interview mit Sea-Watch

Zivile Seenotrettung in Flensburg?!

Das zivile Seenotrettungsschiff - die Sea-Watch 5

Autorin: Inke Kühl

Seit November 2022 herrscht reges Treiben am Flensburger Hafen, der sonst eher ruhig am Ostufer liegt. Es wird gesägt, geschweißt und gestrichen, an einem Schiff, das der zivilen Seenotrettungsorganisation Sea-Watch gehört. Es soll ab dem Sommer 2023 bereit sein für Einsätze im Mittelmeer. An einem sonnigen, warmen Tag im April spricht die Regionalpromotorin Inke Kühl mit dem Crew-Mitglied Lena über den Umbau des Schiffs und die Einsätze von Sea-Watch.

Der Verein Sea-Watch entstand Ende 2014, um auf die europäische Grenzpolitik und die fehlende staatliche Seenotrettung im Mittelmeer hinzuweisen. Im Gespräch auf der Sea-Watch 5 im Flensburger Hafen erzählt Lena, Crew-Mitglied und bereits seit einigen Jahren bei Sea-Watch aktiv, dass es damals erst um das Informieren der Öffentlichkeit über das Ertrinken von Menschen im Mittelmeer ging, schnell jedoch klar wurde, dass beim Befahren des Mittelmeeres fast automatisch auch in die Situation auftritt, aktiv Seenotrettung zu leisten. Außerdem habe die erzeugte mediale Aufmerksamkeit leider nicht dazu geführt, dass die EU sich dem Thema angenommen hätte, führt Lena weiter aus. Daher sieht Sea-Watch sich in der Pflicht, die Lücke einer bisher noch nicht vorhandenen flächendeckenden Seenotrettung so lange zu füllen, bis diese von der EU eingeführt wird.

Über uns • Sea-Watch e.V.

„Sea-Watch steht für legale Fluchtwege. Es wäre das Beste, wenn sich niemand auf ein Boot setzen müsste und die Leute eben andere, legale Fluchtwege hätten.“

Arbeiten auf der Ladefläche des Schiffes

Im Laufe der Jahre hat der Verein immer professionellere Strukturen aufbauen können, sodass es für die Einsätze mittlerweile feste Crews gibt, die durch Freiwillige ergänzt werden. So auch beim Umbau der Sea-Watch 5: Die etwa 40 Personen, die aktuell am Schiff arbeiten, bestehen zur Hälfte aus der Crew und zur Hälfte aus freiwilligen Helfer*innen, die für einige Wochen oder Monate bei den Umbauarbeiten unterstützen. Das etwa 10 Jahre alte Schiff sei vorher als „Safty Standby Vessel“, also als Rettungsboot für Bohrinseln, im Einsatz gewesen, um die Arbeiter*innen bei einer Havarie in Sicherheit bringen zu können, erzählt Lena. Nun müsse im Innenraum viel in Sachen Brandschutz nachgerüstet werden, außerdem wird das Deck umgebaut und zusätzliche Sanitäranlagen sowie eine Krankenstation werden in die Sea-Watch 5 eingebaut. Das Schiff soll bestmöglich für die Seenotrettung ausgestattet werden und sicher sein. Bei der Abnahme durch die zuständige Behörde stünden Schiffe von NGOs unter besonders strenger Kontrolle, berichtet Lena, weshalb die Sea-Watch 3 nun auch durch die 5 abgelöst werden soll. Das bisherige Rettungsschiff ist bereits 50 Jahre alt, sodass es damit immer schwieriger sei, alle Anforderungen zu erfüllen und teilweise Ausnahmegenehmigungen benötigt wurden.

Durch die geplanten Veränderungen an der Schiffsicherheitsverordnung durch das Bundesverkehrsministerium könnte es in Zukunft noch schwieriger werden zivile Seenotrettung zu betreiben. Schiffe unter 35m Länge sollen damit weitere Auflagen erhalten. Sea-Watch schreibt dazu auf ihrer Homepage: „Die neuen Regelungen verlangen unter anderem auch von kleineren Schiffen, Yachten und sogar kleinen Beibooten ein Schiffssicherheitszeugnis – eine pauschale neue Anforderung, die der kommerziellen Schifffahrt entspricht. Bisher waren Fahrzeuge mit einer Länge bis etwa 35 Metern davon ausgenommen. Diese Verschärfung führt nicht zu mehr Sicherheit an Bord, da die Regelungen für Frachtschiffe nicht auf die Einsatzzwecke ziviler Seenotrettung zugeschnitten sind und bestehende Sicherheitsstandards ziviler Rettungsschiffe teilweise unterlaufen.“2

2 Bundesregierung plant Behinderung ziviler Seenotrettung: Mehrheit der deutschen Seenotrettungsschiffe werden blockiert • Sea-Watch e.V.

Das bedeutet für Organisationen mit kleineren Schiffen, dass diese für viel Geld umgebaut werden müssten oder nicht mehr zur Seenotrettung eingesetzt werden könnten. Durch ihre Länge von 58 m ist die Sea-Watch 5 zwar nicht betroffen, erklärt Lena, doch für andere Organisationen könnte es die weitere Arbeit unmöglich machen – diese Änderung der Verordnung reiht sich laut Sea-Watch e.V. in die Abschottungspolitik der EU ein, die sich grade besonders in Italien zeigt – dem Land, in dem die Seenotrettungsschiffe in der Regel einen Hafen anlaufen, weil aus Seenot gerettete Menschen laut internationalem Seerecht in den nächsten sicheren Hafen (ein sicherer Ort auf dem Festland) gebracht werden müssen. Dies ist im Mittelmeer oft ein Hafen in Italien, da bspw. Libyen kein sicherer Hafen für flüchtende Menschen darstellt. Die italienische Regierung forderte zuletzt, dass Schiffe nach jeder Rettung sofort in einen Hafen einlaufen sollen – auch wenn in Sichtweite noch weitere Boote in Seenot sind. Damit sollen weitere Rettungsaktionen verzögert werden, schreibt Sea-Watch dazu auf ihrer Homepage. 3

Denn in der Praxis ist es so, dass die Einlaufgenehmigung zu den italienischen Häfen oftmals erst nach einigen Tagen bis Wochen erteilt wird oder ein Hafen zugewiesen wird, der mehrere Tage Fahrt entfernt liegt, erzählt Lena von ihren Erfahrungen bei Einsätzen auf der Sea-Watch 3. Darum werde die Unterbringung der geretteten Menschen auf den Schiffen immer wichtiger und muss auf längere Zeiträume ausgelegt werden.

3  Bundesregierung plant Behinderung ziviler Seenotrettung: Mehrheit der deutschen Seenotrettungsschiffe werden blockiert • Sea-Watch e.V.

Was können wir tun, wenn wir den Umbau des Schiffs oder generell die Arbeit des Vereins unterstützen wollen?

Wenn ihr als Freiwillige beim Umbau unterstützen möchtet, wendet euch bitte an die zentrale Freiwilligen-Koordination von Sea-Watch e.V. (info@sea-watch.org). Ihr solltet dafür mindestens einige Wochen oder Monate am Stück Zeit haben, da die Einweisung in die Bauarbeiten aufwendig ist und nicht für kurzfristige Helfer*innen geleistet werden kann. Auch Sachspenden können stellenweise sinnvoll sein, dafür solltet ihr euch an die Gesamtkoordination des Umbaus in Flensburg wenden (stephan@sea-watch.org). Da Sea-Watch komplett spendenbasiert ist, sind auch Geldspenden ein Beitrag dazu, den Umbau und die Einsätze zu unterstützen.

In Flensburg gibt es bisher keine Lokalgruppe von Sea-Watch, wenn ihr euch trotzdem in diesem Bereich engagieren möchtet, könnt ihr das in der lokalen SOS Humanity Gruppe tun (freiwillige.flensburg@sos-humanity.org) oder bei der Seebrücke Flensburg (flensburg@seebruecke.org) sowie den Landesweiten Vernetzung der Seebrücken Schleswig-Holstein (schleswig-holstein@seebruecke.org).

Für alle, die sich für die zivile Seenotrettung und die Arbeit auf der Sea-Watch interessieren, findet am Donnerstag, 22. Juni, eine Info-Veranstaltung statt. Es wird ein Film gezeigt und anschließend könnt ihr Fragen an die Crew von Sea-Watch stellen. Der Abend beginnt um 19.30 Uhr im Kulturzentrum Norder147 (Norderstraße 147 in Flensburg).

Solange die Sea-Watch 5 noch in Flensburg liegt, kann man sie von der Wasserseite aus genauer ansehen und sich einen Eindruck vom Schiff machen. Seit letztem Jahr gibt es geführte Kajak-Touren von der Hafenspitze bis zum Harniskai bzw. der Galwikbucht (Fördepaddeln), auf denen man auch am Wirtschaftshafen und damit an der Sea-Watch 5 entlang paddelt.

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Das Bündnis Eine Welt SH e.V. als entwicklungspolitischer Dachverband unterstützt die Anliegen von Sea-Watch e.V. und möchte mit seiner Arbeit einen Teil dazu beitragen, dass Menschen nicht mehr übers Mittelmeer sowie aus ihrer Heimat flüchten müssen. Als entwicklungspolitischer Dachverband vertritt das BEI unter anderem Mitgliedsgruppen, die sich durch Partnerschaftsarbeit für globale Gerechtigkeit und die Bekämpfung von Fluchtursachen einsetzen und damit einen Beitrag dazu leisten, dass sich weniger Menschen auf den lebensgefährlichen Fluchtweg über das Mittelmeer begeben müssen.

Wir unterstützten die Positionen von Sea-Watch, dass es eine flächendeckende Seenotrettung auf dem Mittelmeer benötigt sowie die Forderung nach legalen und sicheren Fluchtwegen, damit keine Menschen mehr im Mittelmeer ertrinken müssen.

In Kooperation mit dem BEI hat das Flensburger Schifffahrtsmuseum 2022 eine Stelle im Rahmen des bundesweiten Eine Welt Promotor*innen-Programm eingerichtet.

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