Vor Ort

Tisch statt Tonne

Unterwegs mit der Eutiner Tafel

Text und Fotos: Benjamin Hellwig

Ausgabe – Gemeinsam besprechen Kunde und Helfer den individuellen Bedarf.

Bundesweit werden im Jahr rund 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll entsorgt, obwohl viele davon noch verzehrfähig sind. Als eine von 934 engagiert sich die Eutiner Tafel seit 1996 für bedürftige Menschen in den schleswig-holsteinischen Städten Eutin und Malente. Ehrenamtliche Helfer sammeln überschüssige, aber qualitativ einwandfreie Lebensmittel, sortieren sie und geben sie weiter. Sie bauen eine Brücke zwischen Überschuss und Mangel.
 

Willy S. schwingt sich hinters Lenkrad des Dreieinhalbtonners, zwischen ihm und Sascha F. finde ich meinen Platz auf der Sitzbank. Die beiden Mitarbeiter der Eutiner Tafel wirken hellwach, als es morgens um neun bereits auf ihre zweite Tour des Tages geht. „Auf geht’s“, sagt F. Kühlung im Frachtraum angeschaltet und los. Der 43-Jährige wird gerade als Springer ausgebildet und macht die Fahrt nach Malente bereits zum zweiten Mal mit. Jeden Mittwoch um diese Zeit sind die Märkte der knapp neun Kilometer entfernten Stadt das Ziel, sechs Mal in der Woche steuern die Fahrer die Eutiner Läden an.

 

Abgeholt – Bei der morgendlichen Tour landen die Lebensmittel im eigenen Lieferwagen.

Das Prozedere ist immer gleich. Ranfahren an Rampe oder Hintereingang, schauen, was bereit gestellt wurde, einladen, abfahren. Es sind Kunststoffkisten mit Gurken und Tomaten, Champignons und Bananen, Weißkohl und Zitronen, die die beiden neben den Läden von Rewe, ALDI, Sky und Markant in den Laster heben. Aus Filialen von Thaysens Backstube kommen Säcke mit Brötchen und einige Backwaren auf Blechen hinzu. „Das Meiste sieht auf den ersten Blick noch gut aus“, kommentiert F., als wir uns nach einer guten Stunde wieder auf den Weg nach Eutin machen. Oftmals sei auch verdorbenes Obst oder Gemüse dabei. Und die beiden wissen zu berichten, dass man hin und wieder etwas schlechtere Ware mitnehmen müsse, um beim nächsten Mal etwas bessere zu bekommen.

Schatzmeister Reinhard Brüser.

„Wir geben nur das in die Lebensmittelausgabe, was wir selbst noch essen würden, den Rest entsorgen wir“, sagt Reinhard Brüser, Schatzmeister und Vorstandsmitglied des Eutiner Tafel e.V. Rund 75 ehrenamtliche Helfer sortieren Montags bis Samstags im Zweischichtbetrieb das, was die Fahrer in die Vereinsräume der Tafel in der Eutiner Innenstadt liefern.

Zwischen 800 und 900 Menschen, von Einzelpersonen bis zur großen Familie, versorgt die Tafel pro Woche – zwölf Ausgaben an sechs Tagen in Eutin und zusätzlich eine in Malente. Etwa 300 Kinder seien darunter, meint Monika Gertenbach. Die erste Vorsitzende ist seit 20 Jahren ehrenamtlich für den Verein tätig. Sie erinnert sich an Zeiten, als bedürftige Bürger einfach vorbeikamen, um sich Lebensmittel abzuholen. „Da gab es noch keine Überprüfung. Jemand, der die Hemmschwelle überschritt und durch unsere Tür ging, outete sich als bedürftig. Und ich war überzeugt, dann ist er es auch“, sagt die 65-Jährige. Ein System, das nur Menschen mit Hartz-4-Einkommen oder weniger für das Entgegennehmen der Spenden berechtigte, war eine neu eingeführte bürokratische Vorschrift für alle Tafeln. Sie brachte dem Verein aber gleichzeitig auch Struktur. „In dieser Zeit erkannten wir, dass unser Bauchgefühl uns Recht gab. Nur ganz wenige Menschen kamen unberechtigt“, sagt sie. So nutzen auch Menschen mit zu kleiner Rente die Eutiner Tafel.

„Man weiß, ob die Oma im Krankenhaus ist oder der Hund zum Tierarzt muss.“

Reinhard Brüser
Übersetzt - Jutta Schünemann nutzt ein Bildwörterbuch beim Dialog mit arabisch sprechenden Kunden.

Im größten Raum des Vereins sind die Waren inzwischen sortiert. Sechs Helfer stehen bereit, um die draußen wartenden Kunden in Empfang zu nehmen. Einzeln kommen sie herein, zahlen einen symbolischen Beitrag von einem Euro pro Einkauf, und gehen mit jeweils einem Helfer von Kiste zu Kiste aus gespendeten Lebensmitteln. Im gemeinsamen Gespräch klären sie den individuellen Bedarf. Im Dialog mit einem arabisch sprechenden Kunden löst Helferin Jutta Schünemann gerade eine sprachliche Hürde mit Hilfe eines Bildwörterbuchs. Beide Seiten suchen die Übersetzung für „eingelegte saure Gurken“. Die Stimmung ist gelöst. Viele Gespräche seien sehr persönlich, betont Schünemann, insbesondere dann, wenn Kunden auf Helfer träfen, die sie schon lange kennen. Und Gertenbach ergänzt: „Man weiß, ob die Oma im Krankenhaus ist oder der Hund zum Tierarzt muss. Und manchmal wird nebenbei auch mal ein Brief vom Amt besprochen, wenn es Verständnisfragen gibt.“

Ausgeladen - Bei jeder Lieferung sind Lebensmittel dabei, die die Helfer entsorgen müssen.

Auch der Austausch der Tafeln untereinander sei bemerkenswert, meint Schatzmeister Brüser. „Wenn einer zu viel oder zu wenig hat, ruft er den anderen an“, sagt der 69-Jährige. Hinzu kommen überregionale Spender wie beispielsweise die Schwartauer Werke, die sich grundsätzlich an alle ostholsteinischen Tafeln wenden. Oft organisiert auch der schleswig-holsteinische Landesverband Lebensmittel, die er dann in einer Rundmail anbietet. „Wer dann zuerst kommt, mahlt zuerst. Tiefkühlpizza, Waschmittel, alles einwandfreie Ware“, sagt Brüser.

 

 

 

 

„Oftmals kann man diesen Teufelskreis nur über Bildung und Kultur durchbrechen.“

 

Monika Gertenbach
Erste Vorsitzende Monika Gertenbach.

Im letzten Jahr feierten die Eutiner ihren zwanzigsten Gründungstag – ein Jubiläum mit zwei Seiten: „Die Gratulanten sagten: ‚Herzlichen Glückwunsch – aber Schade, dass es Sie immer noch geben muss’“, erinnert sich Gertenbach zum Abschluss meines Besuchs. Manche Kunden kennt sie schon in zweiter Generation und sie sagt: „Oftmals kann man diesen Teufelskreis nur über Bildung und Kultur durchbrechen. Auch dazu trägt die Eutiner Tafel bei, etwa mit Eintrittskarten für die Landesgartenschau oder das Weihnachtsmärchen. Diese gemeinsamen Erlebnisse und Impulse fehlen in den Familien oft.“

 

Weitere Infos zur Eutiner Tafel e.V. und der Möglichkeit zu Spenden unter
www.eutinertafel.de und www.tafel.de

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