Unermüdlich
Ein Gespräch mit Horst Hesse
Interview: Markus Schwarz
Herr Hesse, gab es ein Ereignis, das Sie dazu bewegt hat, sich für Fairen Handel in Schleswig-Holstein zu engagieren?
Nein, mein Engagement hat sich eher über viele Jahre entwickelt. Alles begann, als wir 1971 nach Lübeck umgezogen waren und Kontakt zur dortigen Arbeitsgruppe des Kinderhilfswerks terre des hommes (tdh) aufnahmen. Nach der Geburt unseres Sohnes wollten meine Frau und ich uns auch zum Wohl anderer Kinder engagieren und hatten uns für tdh entschieden. Wesentlich dafür war ein Satz des Namensgebers von tdh, des Schriftstellers Saint-Exupery. Ein Satz, der auch heute noch als Leitsatz für die tdh-Mitglieder gilt: „Mensch sein, das heißt: Verantwortung fühlen, sich schämen angesichts einer Not, auch wenn man offenbar keine Mitschuld an ihr hat, stolz sein auf den Erfolg der anderen, fühlen, dass man mit seinem eigenen Stein mitwirkt an dem Bau der Welt.“ tdh habe ich gelernt, dass es wichtig ist, punktuell Not durch Projekte zu lindern, dass aber vielfältig Strukturen geändert werden müssen, um Not, Hunger und Menschenrechtsverletzungen zu beseitigen und dass dafür Bildungs- und Anwaltsschaftsarbeit nötig sind. Über das Thema „ausbeuterische Kinderarbeit“ bin ich zu den Themen „Welthandel“ und „Fairer Handel“ gekommen.
Welche Akteure waren damals kennzeichnend, um für die Themen Fairer Handel und Menschenrechtsverletzungen entlang globaler Lieferketten zu sensibilisieren?
Meine Frau und ich sind damals der Weltladen-Gruppe beigetreten, haben Ladendienst gemacht – meine Frau auch den Einkauf, ich mehr Bildungsarbeit in Schulen, im Laden und im Info-Zentrum „Eine Welt“. Damals waren Weltläden sowie die „Alternativen Importorganisationen“ neben den Kirchen und deren Hilfswerken, Länder-Solidaritäts-Gruppen und anderen NGO bereits wichtige Akteure für die Bewusstmachung von Fairem Handel und Menschenrechtsverletzungen. Um den Eine-Welt-Gruppen und -Initiativen auch auf Landesebene bei Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Kirchen Gehör zu verschaffen, haben wir 1994 das Bündnis Entwicklungspolitischer Initiativen in Schleswig-Holstein gegründet, das heutige Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e.V. (BEI). Als Erster Vorsitzender hatte ich dadurch Gelegenheit, Fairen Handel u.a. auch im umweltlastigen Arbeitskreis Agenda 21 zu thematisieren.
„Der ’Siegel-Dschungel‘ sollte gelichtet werden.“
Welches weitere Engagement aus dieser Zeit können Sie hervorheben?
Unsere Lübecker terre des hommes-Gruppe und das Weltladen-Team haben sich bereits ab den 1990-er Jahren zusammen mit anderen Gruppen an bundes- und landesweiten Kampagnen beteilligt, beispielsweise 1996 am „Frühstück für Afrika“, später auch immer an der Fairen Woche, und an den BEI-Kampagnen „Von Küste zu Küste handeln wir fair“ und „Fair kauft sich besser“. Hinzu kamen auch eigene Aktionen, die wir dann in Kampagnen auf Landesebene einbrachten, beispielsweise „Faire Schultüte“. Außerdem haben wir bereits 2003 in Lübeck einen Bürgerschaftsbeschluß herbeiführen können, nach dem die Hansestadt Lübeck keine Produkte kauft, die mit ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt wurden. Die Beteiligungs- und Eigengesellschaften wurden aufgefordert, ebenso zu verfahren.
Inwieweit hat ab 2009 die Fairtrade-Town-Kampagne geholfen und wie sehen Sie die Entwicklung in Lübeck als erste Fairtrade Town (FTT) in Schleswig Holstein?
Leider wurde jener Bürgerschaftsbeschluss nur punktuell umgesetzt und auch sonst waren in den folgenden Jahre keine größeren Erfolge für den Fairen Handel in Lübeck zu verzeichnen. Da sahen wir in der Fairtrade-Town-Kampagne trotz der relativ schwachen Eingangskriterien ein gutes Vehikel, um den Fairen Handel aus seiner Nische herauszuführen und andere gesellschaftliche Gruppen und die bisher für dieses Thema nur schwer zu gewinnenden Medien einzubinden. Diese Strategie hat sich für Lübeck als erfolgreich erwiesen – inbesondere weil wir immmer wieder Anlässe geschaffen haben, um das Thema Fairer Handel in die Medien zu bringen. So konnten wir 2011 innerhalb von nur neun Monaten alle fünf Kriterien erfüllen und haben auch anschließend zahlreiche Cafes und Restaurants, sogar zwei Hotels und produzierende Unternehmen wie das Traditionsunternehmen Brüggen für den Fairen Handel gewinnen können. Als zweite Schule in Schleswig-Holstein wurde die Lübecker Thomas-Mann-Schule ausgezeichnet. Und die erste und meines Wissens bisher einzige Jugendherberge in Deutschland, in der ein Fair-o-mat steht, ist übrigens die DJH Lübeck.
„Leider laufen viele Aktionen ins Leere, wenn sie nicht von der Verwaltungsspitze unterstützt werden.“
Welche Herausforderungen können Sie aus dieser Zeit nennen und welchen Ausblick können Sie geben?
Der Faire Handel hätte sich in Lübeck noch sehr viel besser entwickeln können, wenn der Bürgermeister ihn unterstützt und nicht die hohe Verschuldung der Stadt immer wieder als Totschlag-Argument dagegen eingesetzt hätte. Leider laufen viele Aktionen ins Leere, wenn sie nicht von der Verwaltungsspitze unterstützt werden. Hoffnungsvoll bin ich deswegen, weil wir spätestens im Jahr 2018 einen anderen Bürgermeister, ggf. eine Bürgermeisterin, haben werden. Auf Landesebene haben unser Vorbild als Fairtrade-Stadt und die Beratung, die das BEI im Rahmen der Kampagne geleistet hat, sicher dazu geführt, dass jetzt bereits 14 weitere Kommunen ausgezeichnet wurden und der Faire Handel und insbesondere die faire öffentliche Beschaffung deutlich zugenommen haben. Die weitere Entwicklung wird stark abhängig sein vom Ausgang der Landtagswahl dieses Jahr.
Welche Herausforderungen sehen Sie für den Fairen Handel insgesamt und insbesondere in Schleswig-Holstein?
Ich denke, es ist wichtig, durch Kampagnen, Informations- und Bildungsarbeit noch stärker als bisher ein Bewußtsein für die positiven Wirkungen des Fairen Handels und seinen ethischen Mehrwert zu schaffen. Außerdem sollte der „Siegel-Dschungel“ gelichtet und durch einige wenige seriöse Siegel größere Transparenz für faire Produkte und faire Unternehmen bzw. Lieferketten geschaffen werden.
Wo sehen Sie den Fairen Handel in zehn Jahren?
Laut „Forum Fairer Handel“ gaben Verbraucher/innen im Jahr 2015 in Deutschland 1,139 Milliarden Euro für fair gehandelte Produkte aus. Im EU-Vergleich hinkt Deutschland jedoch mit 14 Euro pro Einwohner und Jahr der Schweiz und Großbritannien deutlich hinterher – die Schweizer/innen gaben 2015 vier Mal so viel für fair gehandelte Produkte aus. Die zweistelligen Zuwachsraten, die der Faire Handel in Deutschland seit Jahren hat, geben zwar Anlass zur Freude. Wachstum aber darf nicht als einziges Erfolgskriterium angesehen werden.
Die Entwicklung des Fairen Handels im Fokus Schleswig-Holsteins
1964 | Oxfam gründet erste Alternative Handelsorganisation (ATO) |
1975 | Gründung der FairHandels-Importorganisation GEPA und der „AG Dritte-Welt-Läden“ (später: Weltladendachverband) |
1992 | Gründung von TransFair e.V. als Siegelorganisation zur Ausweitung des Fairen Handel in Supermärkten |
1994 | Gründung des „Bündnis Entwicklungspolitischer Initiativen in Schleswig-Holstein“ (BEI), heute: Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e.V. |
1999 | In Schleswig-Holstein findet die erste landesweite „Faire Woche“ statt – ein Aktionszeitraum zum Fairen Handel mit unterschiedlichen Akteuren |
2011 | Auszeichnung Lübecks als erste Fairtrade Town Schleswig-Holstein. Die Kampagne von TransFair wird seit 2009 in Deutschland durchgeführt |
2014 | Erstmals steigt der Umsatz fair gehandelter Produkte in Deutschland über eine Milliarde Euro |