Vor Ort

Von der Schreibmaschine zum sozialen Netzwerk

Der Verein bangt um seine Partner*innen vor Ort und die gemeinsame Arbeit 

Dieser Bericht entstand zwei Monate vor der erneuten Machtergreifung der Taliban im August 2021. Aktuell steht  das langjährige Engagement des Vereins auf dem Spiel. Die Mitglieder bangen um ihre Freund*innen in Afghanistan und die Fortführung ihrer gemeinsamen Arbeit, wie Marga Flader nun im NDR-Interview erzählte: "Wir bekommen WhatsApp-Nachrichten, die ganz verzweifelt sind, mit Schüssen im Hintergrund. Das ist wirklich nicht gut auszuhalten."

 

Zur Lage vor Ort und den Verhandlungen zur Weiterführung des Schulbetriebes berichtet der Verein auch auf seiner Homepage.

 

Text: Ilona Knufinke & Marco Klemmt

Wie viele andere, hat auch der Verein Afghanistan-Schulen, eine Mitgliedsorganisation des Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein, seine Arbeitsweise durch die Corona-Pandemie umgestellt. Die monatlich stattfindenden Vorstandstreffen, die sechs Arbeitstreffen im Jahr innerhalb des Vereins und vor allem der persönliche Besuch der Freund*innen und Schulen in Afghanistan, alles musste ins Digitale verschoben werden oder gar ausfallen. Die Kommunikation läuft daher nicht mehr persönlich, sondern über Medien wie E-Mail, Zoom, Skype, WhatsApp und viele mehr. Diese vielen modernen Kommunikationsformen, die nun vermehrt innerhalb des Vereins angewendet werden, stehen im krassen Gegensatz zu denen in seiner Anfangszeit.

"Als die Vereinsgründerin Ulla Nölle, die leider 2019 verstarb, in den frühen 80er-Jahren anfing, hat sie ihre Briefe an die afghanischen Partner zu Hause auf einer Schreibmaschine geschrieben. Die Briefe waren dann monatelang unterwegs. Als ich in den Verein kam, gab es eine große Erneuerung – da hatten wir dann ein Faxgerät. Das war zwar nicht immer einfach, weil die Technik manchmal nicht so mitgespielt hat, und ich dann stundenlang versucht habe, ein Fax nach Afghanistan zu schicken. Aber es hat schon vieles vereinfacht“,

erinnert sich Marga Flader, die den Vorsitz des Vereins seit 2003 innehat. Zunächst unterstützte der Verein mit Sitz in Oststeinbek am östlichen Stadtrand von Hamburg Schulbildung in afghanischen Flüchtlingslagern in Pakistan, ab 2002 dann auch Schulen in Afghanistan. Der Verein baut neue Schulgebäude, setzt ältere instand oder erweitert sie – seit 1988 insgesamt 60 Schulen für 75.000 Schüler*innen. Vor allem nach dem Abzug der Taliban baute der Verein aber nicht nur Schulen in Nord-Afghanistan, sondern organisierte beispielsweise auch Fortbildungen für Lehrkräfte. So können vor Ort gezielt Schüler*innen ausgebildet und mit Materialien versorgt werden, um dem Mangel an qualifizierten Lehrkräften entgegenzuwirken.

Unterstützung für staatliche Schulen: Mädchen und Jungen der Gallikhana Schule im Bezirk Qurghan auf ihren neuen Schulmöbeln, die vom Verein Afghanistan-Schulen zur Verfügung gestellt worden sind.

Da vor allem Bildungsangebote für Frauen in Afghanistan wenig ausgeprägt sind, errichtete der Verein drei Frauenzentren. Sie sind Orte des Zusammenkommens, zum Reden, Handeln, Einkaufen und zum Lernen.
Dort können Frauen lernen zu lesen, zu rechnen, zu nähen, zu sticken und ihre gefertigten Kleider selbst zu verkaufen.
Von den über 200 Mitgliedern sind knapp die Hälfte Fördermitglieder. „Viele unserer Mitglieder sind mittlerweile bereits im Rentenalter“, erklärt Marga Flader. „Da haben sie dann viel Zeit, sich zu engagieren und sind nicht im Studium oder Beruf stark eingespannt.“ Im afghanischen Partnerverein VUSAF (Union of Assistance for Schools in Afghanistan) sind hingegen vor allem jüngere Menschen involviert.

Dank der neuen Medien engagieren sich nun zunehmend auch jüngere Menschen auf der deutschen Seite: So betreiben drei junge Frauen einen eigens für den Verein eingerichteten Instagram Account: @afghanistanschulen. Das Team besteht aus Faissal sowie den Cousinen Luna und Susan. Faissal hat den Verein durch Recherchen im Internet entdeckt und engagiert sich seit Herbst 2020, Luna und Susan hingegen wurden bereits im Kindesalter von ihren Familien auf Spendenaktionen des Vereins mitgenommen. „Selber aktiv geworden sind wir dann Anfang 2021“, erzählt Susan.

Die drei arbeiten selbstständig. Der Partnerverein versorgt sie alle zwei Wochen mit Informationen, Bildmaterial und Neuigkeiten per E-Mail. Mit diesen Inhalten planen und koordinieren sie, verstreut innerhalb Hamburgs lebend, ihre
Posts auf Instagram. Die bieten einen abwechslungsreichen Mix: So berichten die drei über die Projekte in Afghanistan, informieren über die Kultur, die Sprache und die Landschaft, stellen Rezepte online. Praktisch ist für sie, dass sie dafür nicht auf persönliche Treffen untereinander angewiesen sind, sondern sich digital über Messengerdienste absprechen können. Gefragt, was sie an dieser Art des Engagements reizt, antwortet Susan:

„Vor allem, dass die Möglichkeiten,
sich zu engagieren und zu partizipieren, im Internet einfach agiler und flexibler sind. Wir können von überall arbeiten und erreichen schnell und einfach viele Menschen – vor allem junge Menschen.“

Dass die Inhalte geliked, kommentiert oder geteilt werden, ist zwar mit Spendenaufrufen im Radio oder in der Zeitung nicht zu vergleichen, da man von einem Like noch nichts direkt kaufen kann, allerdings geht es bei ihrem Engagement
nicht primär um das Sammeln von Spenden. „Wir wollen in erster Linie auf die Situation in Afghanistan aufmerksam machen. Dann freuen wir uns über Unterstützung in Form von Spenden, aber was uns noch wichtiger ist: Wir wollen die jüngere Generation anregen, sich zu engagieren, eventuell sogar Vereinsmitglied zu werden“, erläutert Susan die Motivation der drei.

Sowohl innerhalb des Vereins als auch in der digitalen Welt Instagrams bekommen sie viel positives Feedback für ihre
Inhalte. Auch von Marga Flader. Gleichzeitig betont die Vorsitzende, dass das Digitale Engagement die Unterstützung in Präsenz nicht komplett ersetzen kann und die Präsenzarbeit daher weiterhin essenziell bleiben wird. Sie ist sich aber auch bewusst, dass insbesondere der Kontakt zum Partnerverein in Afghanistan durch die digitalen Medien erheblich vereinfacht worden ist. Das gilt auch für die Kommunikation innerhalb des Vereins – wohnen doch die Mitglieder immer verstreuter innerhalb Deutschlands.

Trotz all der technischen Neuerungen bleibt der Kern des Vereins unverändert: der Wunsch und die Hoffnung der Mitglieder, gemeinsam Kindern und Frauen in Afghanistan einen Zugang zu Bildung zu ermöglichen – und damit Zugang zu einem Menschenrecht. Der Verein Afghanistan- Schulen e.V. ist somit ein gutes Beispiel dafür, dass sich die Mithilfe vor Ort und das digitale Engagement in sozialen Netzwerken gegenseitig unterstützen und voranbringen.
können. Persönliche Kommunikation in Präsenz ist nach wie vor essenziell, wird aber durch die Nutzung der digitalen
Medien ergänzt. Insbesondere die sozialen Netzwerke können eine größere und aktuellere Aufmerksamkeit und Reichweite schaffen – und mithelfen, möglicherweise sogar neue aktive Mitglieder zu finden.

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