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Oikocredit investiert in Indien

Text: Benjamin Hellwig

In der Hochgebirgsregion am Fuße des Himalajas: indische Frauen bei der Darjeelingernte für Ambootia
Foto: Opmeer Reports

Von den Fortschritten durch den wirtschaftlichen Aufschwung Indiens profitieren nicht alle Einwohner. Mehr als 800 Millionen Menschen leben in Armut. Oikocredit vergibt in dem Land Kredite und Kapitalbeteiligungen an Mikrofinanzinstitutionen, Genossenschaften und soziale Unternehmen. Das Kapital dafür kommt auch von Anlegerinnen und Anlegern aus Norddeutschland, die ihr Geld sozial verantwortlich anlegen wollen.

200.000 US-Dollar für das indische „Vellore Medical College and Hospital“: Als die „Ecumenical Development Cooperative Society“, wie Oikocredit damals noch heißt, 1978 ihren allerersten Kredit vergibt, ist das der Auftakt des finanziellen Engagements der ökumenischen Entwicklungsgenossenschaft. Heute, 40 Jahre später, ist Indien weltweit der Staat mit der größten Investitionssumme der in vielen Ländern des Globalen Südens tätigen Institution. 69 Partnerorganisationen vor Ort betreuen Projekte in den Bereichen Landwirtschaft, Mikrokredite und Erneuerbare Energien. Aktives Gesamtvolumen in Indien: rund 100 Millionen Euro.

Ralf Diez informiert sich in Chennai bei einer Kreditnehmerin
Foto: Ralf Diez

Ralf Diez ist gerade aus der südostindischen Millionenmetropole Chennai zurückgekehrt. Der Eckernförder ist Vorsitzender des „Oikocredit Förderkreis Norddeutschland e. V.“ und konnte bei seinem Besuch Partnerorganisationen und Kreditnehmerinnen persönlich kennenlernen. „Wir sprechen mit unseren Mikrokrediten größtenteils Frauen an. Insbesondere in den ärmeren Bevölkerungsschichten sind sie häufig stark benachteiligt“, sagt er. Und ergänzt: „In geschäftspolitischen Themen aber sind sie oftmals zuverlässiger als Männer.“ Die Herausforderung bei Existenzgründungen liegt häufig im mangelnden Zugang zu finanziellen Basisdienstleistungen: Viele Menschen können beispielsweise aufgrund nicht ausreichender Sicherheiten weder ein Konto eröffnen noch einen Kredit abschließen. Mikrokreditinstitute schaffen da Abhilfe. Reicht eine Interessierte bei einer Partnerorganisation von Oikocredit einen Antrag auf Unterstützung für ihre Existenzgründung ein, beginnt damit immer auch eine intensive Betreuungsphase. Das Mikrofinanzinstitut Growing Opportunities beispielsweise ist in Chennai und Städten anderer Bundesstaaten Indiens tätig. Es beschäftigt spezielle einheimische Sozialbetreuerinnen, die mehrere Frauengruppen über die Monate und Jahre ihrer Gründungsphase begleiten. „Dadurch kennen sie ihre Klienten sehr gut, das könnten wir von Europa aus gar nicht steuern“, kommentiert Diez.

Die Partnerorganisation Annapurna vergibt Mikrokredite an Frauen
Foto: Opmeer Reports

Diez und sein Vorstandskollege Heiner Möhring besuchen im Zuge der Jahreshauptversammlung von Oikocredit indische Kreditnehmerinnen in ihren Tätigkeitsfeldern. Sie lernen Plätterinnen, Schneiderinnen und Betreiberinnen einer Kaffeerösterei oder eines Spielzeugladens kennen, die am Straßenrand oder in kleinen Geschäften ihre Dienstleistungen und Waren anbieten. Die Kredite liegen durchschnittlich bei 2.500 Euro. Bei wöchentlichen Treffen der Stadtteilgruppen sind der Austausch über den Verlauf der Existenzgründung, Schulungsmaßnahmen sowie Unterstützungen bei Krisen oder Krankheiten Teil der sozialen Begleitung durch die Partnerorganisation. Die Kreditkonditionen zählen dabei nicht zu den kostengünstigsten am indischen Markt, sind aber dennoch erfolgreich. „Wir sind überzeugt, dass die soziale Einbettung ein elementarer Bestandteil ist. Unsere Erfahrung zeigt, dass es den Teilnehmerinnen dadurch leichter fällt, ihre Kredite wieder zurückzuzahlen. Daraufhin kommt das Geld anderen wieder zugute“, sagt Diez. Immer wieder schließen Teilnehmerinnen nach Ablauf der Laufzeiten von ein bis drei Jahren auch Folgekredite ab. Sie erleben die Zusammenarbeit in der Frauengruppe als sehr positiv, zudem bestehen häufig weitere Bedarfe wie die Investition in neue Nähmaschinen. „Hin und wieder aber auch, um die Hochzeit der Tochter würdevoll zu zelebrieren“, kommentiert Diez.

Existenzgründung mit einer Seilproduktion
Foto: Opmeer Reports

In Deutschland, anderen westeuropäischen Staaten und Nordamerika hat Oikocredit Förderkreise gebildet. Neben Norddeutschland gibt es in Deutschland sieben weitere aktive Zusammenschlüsse. Das Geld wird treuhänderisch verwaltet, Geldanlage ist ab 200 Euro möglich. Die Mitgliedsgebühr beträgt 15 Euro jährlich. Die rund 2.200 Mitglieder in Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern leisten eine Treuhandsumme von etwa 44 Millionen Euro. Nur Mitglieder können Geld anlegen, der Förderkreis leitet das Geld an die Zentrale im niederländischen Amersfoort weiter. „Dort werden die Projekte zentral ausgewählt oder in die verschiedenen Länderbüros delegiert“, sagt Diez. „Das Geld ist ethisch wertvoll angelegt. Die Menschen erhalten die Chance, ihre Lebensbedingungen nachhaltig zu verbessern.“ Zudem erhalten Anleger eine Rendite. Die jährlich festgelegte Dividende liegt 2017 bei einem Prozent auf die Anlage.

„Wir sind überzeugt, dass die soziale Einbettung ein elementarer Bestandteil ist.“

Ralf Diez
Energie für die ländliche Region: Solaranlagen in Indien
Foto: Opmeer Reports

Neben der Vergabe von Mikrokrediten engagieren sich die Projektpartner von Oikocredit beispielsweise auch in landwirtschaftlichen Bereichen. Die Organisation „Darjeeling Organic Tea Estates“ saniert mithilfe der Kredite die aus britischer Kolonialzeit stammenden Teeplantagen. Der fruchtbare Boden der Kooperation sind Aspekte wie faire Löhne, Sozialleistungen, kostenlose Wohnungen, Bildungseinrichtungen, medizinische Versorgung der Beschäftigten sowie die biologischen und biodynamischen Anbaumethoden. Als neuestes Tätigkeitsfeld investiert Oikocredit auch in den Bereich Erneuerbare Energien. Mehr als 300 Millionen Inderinnen und Inder kompensieren derzeit den fehlenden Strom mit Petroleumlampen, Unternehmen arbeiten zudem mit teuren und gesundheitsschädlichen Dieselgeneratoren. Dezentrale Lösungen mit Solarenergie sollen in Gegenden, in denen ein Anschluss ans Netz nicht realistisch ist, als Alternative weiterhelfen. „Die Problematik betrifft insbesondere die ländliche Bevölkerung in Indien. In diesen Gegenden mit Angeboten aktiv zu werden, ist besonders wichtig“, sagt Diez. „Der Bereich umfasst bisher mit fünf Prozent der ausgegebenen Gelder noch den kleinsten Teil, da werden wir in Zukunft weiter wachsen.“

Zu Besuch bei einer Näherin und Kreditnehmerin in Chennai
Foto: Ralf Diez

Weitere Infos und Kontakt

Oikocredit ist in weltweit 70 Ländern mit 693 Partnern in Lateinamerika, Afrika und Asien vertreten. Weitere Informationen zu Mitgliedschaft im Förderkreis und Anlagemöglichkeiten unter www.oikocredit.de

Oikocredit Förderkreis Norddeutschland e.V.
Königstraße 54
22767 Hamburg
Tel.: 040-9436 2800
norddeutschland@oikocredit.de

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