Nachgefragt

Jenseits von Paris - Chancen und Risiken von CO2-Entnahme-Technologien

Autorin: Sophia Roland

Der neue Bericht des Klimarats warnt vor irreversiblen Folgen des Klimawandels für uns und unsere Erde. Währenddessen beschließt die Ampel-Koalition Aufweichungen der sektorenspezifischen Klimaziele. Aktuell steuern wir immer sicherer auf eine Erderwärmung jenseits des Pariser Klimaziels von 1, 5 Grad zu.

Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die aktuellen Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels nicht ausreichen. In diesem Zusammenhang ist auch immer wieder die Rede von CO2-Entnahme (= kurz CDR, Carbon-Dioxide-Removal). CDR bezeichnet den Prozess, CO2 aus der Atmosphäre zu binden - sei es auf natürliche Weise (z.B. durch Bäume) oder durch bestimmte Technologien.

Dr. Tony Cabus forscht an der Christian-Albrechts-Universität zu den rechtlichen Aspekten von marinen CO2-Entnahme-Maßnahmen. Als Teil eines interdisziplinären Forscher*innen-Teams arbeitet er an der Entwicklung eines Bewertungsrahmens für CDR. Dieser soll Politiker*innen dabei helfen, alle wichtigen Elemente bei ihrer Entscheidung für oder gegen eine Methode zu berücksichtigen.

Neben der naturwissenschaftlich-technischen Umsetzbarkeit, sind auch politische und wirtschaftliche Machbarkeit, rechtliche Bedingungen, aber auch ethische Fragen wichtige Forschungsfelder. „Häufig wird CDR als „Lösung“ bezeichnet – aber wir sind längst nicht an dem Punkt, dass wir es als Lösung bezeichnen könnten. Gerade bei CDR in Meeren stehen wir mit der Forschung noch am Anfang und keine der möglichen Methode kann bereits sicher genutzt werden,“ erklärt Dr. Cabus.

Und dennoch steuern wir auf eine Abhängigkeit von CDR zu: Bereits frühere IPCC-Berichte haben darauf verwiesen, dass alle Szenarien, in denen das 1,5 Grad-Ziel erreicht wird, CDR beinhalten (IPCC, 2018). „Der letzte IPCC-Bericht hat uns noch einmal daran erinnert, dass nicht nur die aktuellen Anstrengungen nicht ausreichen, sondern selbst die geplanten Zielsetzungen noch zu niedrig angesetzt sind, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen.“, so Dr. Cabus. „CO2 verschwindet ja nicht mit der Zeit, sondern sammelt sich in der Atmosphäre an. Fakt ist: Je länger wir die Reduktion von Emissionen jetzt hinauszögern, desto abhängiger sind wir von CDR, um CO2 nachträglich aus der Atmosphäre zu entfernen.“

Die Risiken sind schwer abzuschätzen und können je nach Methode ganz unterschiedlich ausfallen. Jedoch zählen Umweltschäden zu den größten möglichen Gefahren, denn die Maßnahmen greifen in das Erdsystem ein. Ein Dilemma, denn der Klimawandel schädigt die Umwelt ebenfalls. Welche Schäden sollen in Kauf genommen werden und welche nicht? Welche Ökosysteme sollen priorisiert werden und wer entscheidet darüber? CDR wirft tiefgreifende ethische Grundfragen auf, deren Beantwortung nahezu unmöglich erscheint – zumindest in der Zeit, die wir zur Verfügung haben. „Zeit ist ein wichtiger Faktor. Wir haben nicht mehr alle Zeit der Welt, um zu handeln. Das bedeutet, dass CDR jetzt entwickelt werden muss: Es muss geforscht werden, die notwendigen Technologien müssen entwickelt und finanziert werden und die Bevölkerung muss darüber aufgeklärt werden. CDR muss am Ende der Dekade einsatzbereit sein“, so Dr. Cabus.

Neben Folgen für unsere natürliche Lebensgrundlage sind auch soziale Risiken mit CDR verbunden. Weil CDR auf globaler Ebene durchgeführt werden muss, werden massive finanzielle Mittel benötigt. „Und diese finanziellen Mittel sind meistens in den Händen von Industriestaaten konzentriert. Es besteht also die Gefahr, dass Maßnahmen von globaler Bedeutung durchgeführt werden, ohne dass Länder des Globalen Südens einbezogen werden.“ Das Problem der sozialen Ungleichheit, dass wir bereits in Bezug auf den Klimawandel beobachten, bleibt also auch bei CDR bestehen.

Wenn wir die nationalen Strategien der Staaten anschauen, so lautet das Zauberwort: Net-Zero. „Selbst wenn Staaten nicht aktiv CDR als Maßnahme verfolgen, haben doch die meisten Net-Zero-Ziele. Net Zero ist ein Accounting-Trick: Man emittiert, aber man entfernt gleichzeitig. Insgesamt wiegt man also die ausgestoßenen Emissionen mit den entfernten Emissionen auf und erhält insgesamt null Emissionen. Dafür braucht man CDR. Es werden also entweder neue Technologien entwickelt, um CO2 zu binden oder bereits existierende Wege aufgestockt, z.B. indem man mehr Bäume pflanzt.“

Vollständige Treibhausgasneutralität ist in vielen Sektoren noch nicht absehbar, sektorenspezifische Emissionsziele wurden in der Vergangenheit außerdem regelmäßig überschritten und nun stark aufgeweicht. Ist echte Treibhausneutralität – oder Real Zero - überhaupt möglich? „CDR ist keine Wunderlösung und kann nur mit massiver Reduktion von Emissionen einhergehen. Der Weltklimarat hat berechnet, wie viel Prozent der weltweiten Emissionen vermieden werden können und wie viel nicht. Es gibt Sektoren, die ihren Energieverbrauch nicht auf Null senken können. Für diese 10% unvermeidbaren Emissionen soll CDR eingesetzt werden, die restlichen 90% müssen reduziert werden.“

Die Versuchung sei allerdings groß, business-as-usual weiterzuführen. Zumal nun Scheinlösungen, wie Carbon Capture and Storage von der Industrie propagiert werden. Das ausgestoßene CO2 wird nach dieser Methode einfach abgefangen, bevor es in die Atmosphäre übergehen kann und in unterirdischen Speichern eingeschlossen. Real-Zero-Vertreter warnen, dass dies von echten Handlungen ablenkt. „Carbon Capture and Storage ist kein CDR, weil es kein CO2 aus der Atmosphäre entnimmt, sondern nur neue Emissionen daran hindert, in die Atmosphäre zu gelangen. Das Problem ist außerdem, dass der ganze Prozess sich noch nicht als effektiv herausgestellt hat“, so Dr. Cabus.

Rechentricks und Emissionshandel werden für Greenwashing missbraucht und werfen uns im Kampf gegen den Klimawandel zurück. Können wir überhaupt noch etwas tun?

„Obwohl CDR hauptsächlich in der Verantwortung von Forscher*innen und Politiker*innen liegt, ist es die Verantwortung von uns allen, Emissionen zu reduzieren.“ Das eigene Konsumverhalten zu überdenken, auf Nachhaltigkeit zu achten und unseren Energieverbauch zu reduzieren bleiben auch weiterhin wichtige Maßnahmen im Kampf für eine lebenswerte Zukunft.

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