Unterwegs

Slow Fish

Fisch- und Küstenkultur verstehen lernen

Text: Benjamin Hellwig

Kenianische Küstenfischer beim Anlanden des Fangs. Foto: Lighthouse Foundation

Küstenfischer haben ein ureigenes Interesse am nachhaltigen Fortbestand ihrer Fischgründe. doch was, wenn reichweitenstarke, industrielle Trawler die Produktivität im Wasser gefährden? Die Lighthouse Foundation aus Kiel-Holtenau fördert den bewussten Umgang aller rund um das Thema Fisch und blickt mit ihrem Engagement auf die Gemeinsamkeiten zweier Partner in Dänemark und an der Elfenbeinküste.

Fisch ist nicht leicht greifbar. So glitschig wie sein Körper entgleiten jenen, die sich für das Thema Fischverzehr interessieren, die Für-und-Wider-Argumente. Was bleibt, sind meist mehr Fragen als Antworten. Welche Arten sind nicht bedroht? Wie viel Verzehr ist für die Bestände verträglich? Und wie steht es um die Zukunft von traditionellen Kleinfischern weltweit, deren Fischereigründe durch industrielle Unternehmen gefährdet werden?

Slow Food will Orientierung geben. Die weltweite Bewegung, 1989 gegründet, möchte das Verschwinden lokaler Lebensmittelkultur und -traditionen stoppen und Menschen für Herkunft, Geschmack und Auswirkungen unseres Essens sensibilisieren. Millionen Menschen in mehr als 160 Ländern setzen sich mit der Bewegung für den Zugang zu guten, sauberen und fairen Lebensmitteln ein. Ziel dabei ist es, durch einen bewussten Umgang mit Ressourcen gemeinschaftlich Einfluss auf Märkte und Mechanismen auszuüben.

„Quoten sind exklusive Nutzungsvereinbarungen für das Meer, das Eigentum aller.“

Jens Ambsdorf
Jens Ambsdorf, Lighthouse Foundation. Foto: Benjamin Hellwig

Slow Fish, Ableger der Slow-Food-Bewegung, will dieses Bewusstsein für den Bereich Meeresfrüchte fördern. Die Bewegung sieht im Stärken von Kleinfischereien einen Weg zurück zum Guten. So will sie handwerkliche Fischerei und das Fangen vernachlässigter Fischarten fördern und zum Nachdenken über den Stand und die Art der Bewirtschaftung der Meeresressourcen anregen. Fischer, Wissenschaftler, Köche und Studenten bilden ein Netzwerk, dessen Ursprung nahe des Leuchtturms von Kiel-Holtenau zu Hause ist.

Jörg Grabo, Lighthouse Foundation. Foto: Benjamin Hellwig

„Innerhalb von Slow Food gab es vor 15 Jahren noch kein großes Fischerei- und Meeresbewusstsein“, erinnert sich Jens Ambsdorf in seinem Büro, einen Steinwurf von Tiessenkai und Nord-Ostsee-Kanal- Schleuse entfernt. Er ist Vorstand der Lighthouse Foundation, einer im Jahr 2000 gegründeten „Stiftung für die Meere und Ozeane“. Die Fördermaßnahmen der gemeinnützigen Stiftung unterstützen weltweit lösungsorientierte, marine Projekte vor Ort, die beispielhaft für die Machbarkeit nachhaltiger Entwicklung sind. Zudem will die Lighthouse Foundation die Verknüpfung von Mensch und Meer aufzeigen und ein besseres Verständnis von marinen Themen in der Öffentlichkeit vermitteln.

Der 58-Jährige blickt zusammen mit seinem Kollegen Jörg Grabo auf den Beginn und die Dynamiken von Slow Fish zurück. Mit den anfänglichen finanziellen Mitteln der Stiftung entwickelt sich das Programm zu einer weltweiten Bewegung, die heute „mit sehr viel Eigenantrieb funktioniert und nicht bis ins Letzte durchorganisiert ist“, sagt Grabo. Aktuell gibt es mehr als 500 Gemeinden, Gruppen oder Initiativen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Sie alle beschäftigt auf dem Weg in eine verträgliche Zukunft die zentrale Frage nach dem Wem-gehört-eigentlich-das-Meer? Beim Thema Fischereirechte, sagt Ambsdorf, sei die Politisierung der Diskussion unumgänglich. Wie hier an der Ostsee, wenn Fangquoten für Hering und Dorsch diskutiert werden, überziehen wie ein immer engmaschigeres Netz Privatisierungsprozesse das Meer. „Im Grunde sind Quoten doch Eigentumsrechte. Und diese exklusiven Nutzungsvereinbarungen für das Meer, das Eigentum aller, werden darüber hinaus noch gehandelt und mit Profit an die weiterverkauft, die es sich leisten können – zum Nachteil kleinerer Küstenfischereien“, kritisiert Ambsdorf. Traditionelle Wirtschafts- und Lebensformen an der Küste würden als überholt und minderwertig diffamiert und ausgegrenzt.

 

Traditionelle Fischerboote in Thorupstrand. Foto: Han Herred Havbåde

Für Lösungsansätze blicken Ambsdorf und Grabo zu einem Netzwerkpartner in Norddänemark. Eine kleine Gruppe von Fischern in der Jammersbucht an der Nordwestküste Jütlands hat sich durch einen innovativen Zusammenschluss gestärkt. Hinter „Thorupstrand Kystfiskerlaug“ stehen Menschen, die nur gemeinsam den Erwerb eines Quotenpools stemmen konnten. Ihr Ziel dabei: verhindern, dass die großen Fischtrawler-Unternehmen alle Fischereirechte aufkaufen. Sie gründeten 2006 in Thorupstrand eine Genossenschaft für das Anlanden ihrer Boote sowie die Verarbeitung und den Handel des Fangs. Auch einen eigenen Fischladen gibt es. Die Wertschöpfung bleibt vor Ort. Gefischt wird mit umweltfreundlichen Netzen sowie minimalem Kraftstoffverbrauch.

In der Werft an der Jammersbucht: 1500 Jahre
alte Klinkerbauweise. Foto: Han Herred Havbåde

Die eingesetzten Boote sind klein und daher auf See schonend für das Ökosystem einsetzbar. Mit ihrer klassischen, bereits seit 1500 Jahren in der Region genutzten Klinkerbauweise, sind sie elastisch und robust genug, um den Belastungen beim Überqueren der Sandbänke vor Thorupstrand standzuhalten. Erfahrungen aus über 500 Jahren fließen in den Bootsbau ein. Sie entstehen in der Werft vor Ort, gegründet vom Schwesterverein der Genossenschaft, „Han Herred Havbåde“. Der Ort bietet jungen Menschen berufliche Perspektiven und die Möglichkeit, praxisnah den Erhalt des Bootsbauerhandwerks zu erlernen. Zudem arbeiten die Menschen an historischen Schiffen des Vereins. Elbo, Jammerbugt, Nordvest, Skarreklit und Anna sind vor der Verschrottung gerettete und später restaurierte Fischerboote. Sie stammen aus den 1920er-Jahren und anderen Epochen des Fischfangs in der Region. Jeweils 20 bis 40 Mitglieder knüpfen an die großen Erfahrungen aus den Zeiten ihrer reaktivierten Boote an. Sie betreiben Fischfang für den eigenen Verbrauch. Zusammen mit den Menschen der Genossenschaft unterstützen sich die Fischer wie früher mit der Expertise mehrerer Schiffsbesatzungen gegenseitig auf See und an Land. Wo früher jedoch Pferde und Menschen die Boote hinaus aufs Meer und zurück auf den Strand zogen, erledigen dies heute kräftige Seilwinden und Bulldozer. Die Jammersbucht ist aufgrund des offenen, weitläufigen Sandstrands ein Ort klassischer Küstenkultur. Traditionell finden hier als einzig mögliche Methode Küstenanlandungen statt, als einer der letzten in Dänemark.

„Für uns Fischer hier ist Nachhaltigkeit der einzige Weg, um mit unserer Natur hier umzugehen.“

Thomas Højrup
In der Fischverarbeitung der Genossenschaft. Foto: Han Herred Havbåde Foto: Han Herred Havbåde

Und doch: Trotz innovativer und funktionierender Methoden wirkt der Küstenabschnitt von Thorupstrand wie das gallische Dorf, dem langsam der Zaubertrank ausgeht. Es fehlt der Fisch. Er wird ihnen sprichwörtlich vor der Nase weggeklaut. Niederländische Trawler mit riesigen Reichweiten fischen im großen Stil vor Thorupstrand ab und ziehen dann weiter. Alles mitunter im rechtlichen Rahmen. „Das ist Teil der europäischen Vereinbarungen. Die gemeinsame Fischereipolitik sieht in gewissen Grenzen eine Freizügigkeit für die Fischer vor“, sagt Grabo. Und Ambsdorf kommentiert: „Die Situation ist tragisch. Die systemische Ebene schlägt zu. Eine kapitalgetriebene, industrialisierte Fischerei schneidet auf lokaler Ebene so massiv ein, dass alles, was man über Jahrzehnte aufgebaut hat, an seine Grenzen kommt.“ Thomas Højrup von der Genossenschaft Han Herred Havbåde betont: „Für uns Fischer hier ist Nachhaltigkeit der einzige Weg, um mit unserer Natur hier umzugehen. Die niederländischen Baumkurren-Trawler aber gehen brutal mit dem Meeresboden um. Sie zerstören mit ihren Methoden die Basis unseres reichhaltigen Ökosystems und graben die gesamte Nahrungskette der Fische ab.“ Seine Kollegin Kirsten Monrad Hansen ergänzt: „Wir arbeiten zusammen mit dem Ministerium an diesen Herausforderungen. Unser Ziel ist es, den Zugang der niederländischen Trawler zur Jammersbucht zu limitieren und die Kontrollen ihrer Fangmengen zu erhöhen.“

Anlanden am Strand von Grand Béréby, Elfenbeinküste. Foto: Olaf Grell

Die Lighthouse Foundation dokumentiert die Herausforderungen seines dänischen Netzwerkpartners im Kontrast zu einem Stiftungsprojekt eines Partners in der westafrikanischen Elfenbeinküste. Ziel ist es, die globale Dimension der Herausforderungen von lokalen Fischern aufzuzeigen. Die Küstenfischerei in Grand Béréby zeigt deutlich alle Anzeichen für eine Überfischung: Immer geringer werdende Fänge, kleine Fische und der Ausfall von Arten. Wie in der dänischen Jammersbucht sind es auch hier die reichweitenstarken Fischtrawler, die für die sinkende Produktivität unter Wasser sorgen. Nach Aussage von lokalen Fischern, Anwohnern, Wasserschutzpolizei und Hotelbesitzern sind die Trawler vor allem nachts in rund 500 Meter Entfernung vor der Küste zu sehen. Zu zweit oder alleine ziehen die schwach beleuchteten Schiffe riesige Netze. Obwohl sie sich im nationalen Gewässer der Elfenbeinküste befinden, entziehen sie sich den Kontrollen. Auf den Überwachungsbildschirmen sind sie nicht zu sehen. Betroffene vor Ort vermuten, dass sie das automatische Identifikationssignal AIS deaktivieren, um Rückverfolgungen zu umgehen.

Die Wilderei in Grand Béréby ist zurückgegangen. Foto: Olaf Grell

Die Entwicklung von Meeresschutzgebieten ist bei beiden Partnern der Stiftung ein essenzieller Bestandteil und Lösungsansatz. Während sich aber die Menschen in der Jammerbucht fragen, „wenn wir hier noch weiter fischen wollen, wie müssen wir dann das Meer schützen?“, ging es in Grand Béréby zunächst um die Festlegung eines Meeresschutzbereiches für die dort durch den Menschen bedrohten Meeresschildkröten. Erst im zweiten Gedanken fragt man sich, wie Fischerei dann dort noch hineinpasst. „Uns ist wichtig, dass die Bevölkerung nicht nur einbezogen werden muss, sie muss es auch tragen. Aber die Zeit ist knapp. Wie lange dauern partizipative Prozesse, bis sie greifen und in der Umsetzungsphase sind?“, stellt Ambsdorf heraus. Und ergänzt: „Es ist aber fatal zu sagen, wir wissen, was gut für euch ist. Besserwisserei ist kontraproduktiv.“

Kenianische Küstenfischer. Foto: Lighthouse Foundation
Standfest auf schmalen, kleinen Booten.
Foto: Lighthouse Foundation

Auf das Fischen zu verzichten, obwohl Fische vorhanden sind, ist ein unpopulärer Ansatz. An der Elfenbeinküste setzen die Projektmitarbeiter darauf, Null-Nutzungsbereiche gemeinsam mit den Fischern festzulegen. Ziel ist es, den Fischen die nötige Zeit zum Aufwachsen zu geben und Laichgründe und Aufwuchsorte der Jungfische zu schützen. Die Population der Meeresschildkröten hat sich durch die Einrichtung einer lokalen Strandbrigade, Schutzzonen am Strand und Aufklärungsmaßnahmen erholt. Die Wilderei ist zurückgegangen. Das geplante Meeresschutzgebiet wäre das erste Westafrikas. Der kürzlich verstorbene Projektleiter Olaf Grell schreibt in seinem im März 2019 veröffentlichten Bericht: „Fast überall auf der Welt sind die Probleme ganz ähnlich. Auch in Côte d’Ivoire sind Meerestiere […] bedroht, aber auch dort gibt es Menschen, die sich mutig und klug für einen besseren Umgang mit unseren Mitgeschöpfen und unseren natürlichen Ressourcen einsetzen. Das ist großartig. Mit diesen Menschen wollen wir uns vernetzen und sie unterstützen, so gut wir können.“

Wer sich Slow Fish nähert, sich in Zeiten permanenter Beschleunigung von Prozessen Zeit für Hintergründe nimmt, stellt Zusammenhänge fest. Erkenntnisse und Antworten auf all die Fragen, die einen ins Handeln für einen Wandel bringen. Jens Ambsdorf kommentiert zum Abschluss im Büro am Holtenauer Leuchtturm: „Es geht für uns im globalen Norden nicht nur darum, weniger zu konsumieren, sondern zudem das Richtige zu tun. Wenn jede oder jeder Einzelne von dem, was sie oder er weiß, die Hälfte mehr machen würde, wären wir auf einem guten Weg. Wir wissen genug.“

Weitere Informationen:

Lighthouse Foundation: www.lighthouse-foundation.org
Han Herred Havbåde: www.havbaade.dk
Conservation des Espèce Marine: www.ong-cem.org

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