Solidarität mit Mittelamerika in den 1980er Jahren – eine kritische Rückschau

Autorin: Erika Harzer

Unterstützung bei der Bearbeitung: Vanessa Schäffer

Lateinamerika im Kalten Krieg: Repression und Widerstand

Die 1970er/80er Jahre waren geprägt von der Konfrontation zwischen Ost- und Westblock – dem sogenannten Kalten Krieg. Für viele Länder Lateinamerikas war diese Zeit geprägt von brutalen Militärdiktaturen, systematischer Repression und einer massiven politischen wie wirtschaftlichen Einflussnahme durch die Vereinigten Staaten1. Immer wieder fällt in diesem Zusammenhang der Begriff „Hinterhof der USA“ – eine gängige Metapher, um das geopolitische Machtverhältnis zwischen Nord- und Lateinamerika zu beschreiben.

Lateinamerikanische Länder als „Hinterhof der USA“ beinhaltet die Vorstellung, dass die Region als geopolitischer Einflussbereich der Vereinigten Staaten betrachtet wurde – ähnlich wie ein privater Hinterhof, den man unter Kontrolle hält. Dies äußerte sich in direkter politischer Einmischung z.B. in Guatemala. 1954 stürzte hier ein von der CIA organisierter Putsch die demokratisch gewählte Regierung1. Ihr Präsident hatte es gewagt, mit einer umfassenden Landreform den Einfluss nordamerikanischer Wirtschaftsunternehmen (wie z.B. United Fruit) im Land zu reduzieren. Die dem Putsch folgende Bürgerkriegszeit dauerte über 30 Jahre und kostete mehr als 200.000 Menschen das Leben2. Besonders betroffen von Massakern, die von der Armee und paramilitärischen Spezialeinheiten verübt wurden, war die indigene Bevölkerung. Einzigartig war der Sieg der Aufständischen 1959 in Kuba. Angeführt von Fidel Castro gelang es den Rebellen die Batista Dynastie zu stürzen und damit die Abhängigkeit der Insel von den USA zu beenden. Doch der neue Weg führte Kuba in die Abhängigkeit von der Sowjetunion. Parallel verschärfte sich die US-Außenpolitik.

Schon kleinste Schritte seitens lateinamerikanischer Regierungen die wirtschaftliche, militärische und kulturelle Dominanz der Vereinigten Staaten in deren „Hinterhof“ einzudämmen, wurde durch direkte Interventionen oder indirekte Einflussnahme zu verhindern versucht.

So wurde in Chile am 11. September 1973 der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende gestürzt und die Tür für eine 17 Jahre andauernde Diktatur unter General Pinochet geöffnet3. Allendes Modell eines demokratischen Sozialismus mit der Nationalisierung zentraler Industrien (z. B. Kupfer) wurde auch in Europa breit diskutiert und unterstützt. In Deutschland bildeten sich zeitgleich erste Solidaritätsgruppen.

In El Salvador löste im Jahr 1980 der Mord an Erzbischof Oscar Romero einen Bürgerkrieg aus, der rund 75.000 Todesopfer forderte2.

Diese brutale Realität zeigt, dass emanzipatorische Bewegungen oft mit harter Gewalt niedergeschlagen wurden – meist mit direkter oder indirekter Unterstützung durch die USA. Besonders im Fokus standen dabei linke Regierungen oder Befreiungsbewegungen, die sich gegen die bestehenden Machtverhältnisse auflehnten. In Nicaragua gelingt es den Aufständischen jedoch im Juli 1979 den verhassten Diktator Somoza zu stürzen. Die folgende sandinistische Revolution wird zur globalen Hoffnung vieler linker Bewegungen.

 

Solidarität aus Deutschland: Vielfältig, aktiv und widersprüchlich

In der Bundesrepublik gründeten sich, als eine Art Antwort auf die zerstörerischen Praktiken am anderen Ufer des Atlantiks, in den 1980er Jahren zahlreiche Solidaritätsgruppen – mit sehr unterschiedlichen Ausrichtungen:

Es gab sehr unterschiedliche Ansätze: Solidarität mit dem Aufbau einer unabhängigen und sozial gerechten Gesellschaft … Solidarität im gemeinsamen antiimperialistischen Kampf weltweit.“

Besonders groß war die Unterstützung für Nicaragua4. Das lag unter anderem daran, dass die sandinistische Regierung solidarische Menschen aus aller Welt einlud, sich vor Ort am Aufbau des neuen, sozial gerechten Nicaragua, zu beteiligen. Hunderttausende reisten nach Nicaragua: in Brigaden, in Delegiertengruppen, als Einzelpersonen oder Projektleiter*innen, um vor Ort beim Aufbau einer neuen Gesellschaft mitzuhelfen. Durch die Möglichkeit direkter Beteiligung wurde der Bau von Schulen, Gesundheitszentren, Werkstätten und Landwirtschafts- oder Wohnprojekten möglich.

Wohnprojekten Infoblatt Lehrwerkstatt Sta Rosa Masaya. Werkschule Bln

Die Solidarität kam aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Christ*innen, Gewerkschafter*innen, Professor*innen, Ärzt*innen, Pfleger*innen und Aktivist*innen aus linken und linksautonome Gruppen machten sich auf die Reise. Gleichzeitig gab es Proteste gegen die deutsche Regierungspolitik unter Kanzler Helmut Kohl, die eng an der Seite der USA stand.

Auch die Öffentlichkeitsarbeit war vielfältig: Plakate, Veranstaltungen, Spendensammlungen, Theater und Infostände prägten das Bild - hin und wieder gab es auch Besetzungen von Kirchen oder Parteibüros. Eine bekannte und durchaus provokante Kampagne für den Befreiungskampf in El Salvador war der Aufruf: “Armas para El Salvador“ („Waffen für El Salvador“), die auch von prominenten Persönlichkeiten unterstützt wurde5.

 

Infoblatt GEW Oekotopie Werkschule Berlin

Persönliche Erfahrungen: Solidarität in der Praxis

Ein persönliches Beispiel aus dieser Zeit: Ich gehörte zur Werkschule Berlin, einem kollektiv organisierten pädagogischen Ausbildungsprojekt. Unser Ansatz: Leben, Lernen und Arbeiten in gemeinsamer Verantwortung – verbunden mit dem Ziel, gesellschaftliche Strukturen zu hinterfragen und soziale Gerechtigkeit zu leben. Geprägt von dieser Erfahrung boten wir an, uns beim Aufbau des „freien Nicaraguas“ mit unserer fachlichen Kompetenz beim Aufbau einer Elektro-Ausbildungswerkstatt einzubringen – ein Projekt, das besonders jungen Frauen neue Wege eröffnete.

Die Erfahrungen vor Ort in einer Zeit ohne soziale Medien, in einem Land mit aufgezwungenem Krieg und aufgedrückter Wirtschaftsblockade, prägten viele von uns nachhaltig. Noch heute treffe ich Menschen, die damals dabei waren – und die sich weiterhin für soziale Gerechtigkeit einsetzen. Nach wie vor gibt es städtepartnerschaftliche Projekte, deren Arbeit jedoch durch die aktuelle politische Situation in Nicaragua äußerst schwierig geworden ist6. Aktuell konzentriert sich viel auf die Unterstützung der Menschen, die vor der repressiven Politik der Ortega-Murillo Diktatur aus Nicaragua geflohen sind oder direkt von der Regierung zu staatenlosen Menschen gemacht wurden.

Plakat Werkschule Beriln. Ausbildungswerkstatt

Solidarität – was bedeutet sie eigentlich?

Die bewegenden Erfahrungen der Solidaritätsbewegungen der 1980er Jahre werfen auch heute noch zentrale Fragen auf: Was genau bedeutet Solidarität eigentlich? Was motiviert uns dazu – und wie kann sie gelingen, jenseits von bloßen Gesten? Kann es uns gelingen, die eurozentristische Position, die in den 1970/80er Jahre doch sehr stark in den Bewegungen vorherrschte, abzulegen und gemeinsame Kämpfe auf Augenhöhe zu entwickeln, eine wechselseitige Solidarität für das gemeinsame Ziel?

Besonders vor dem Hintergrund aktueller globaler Krisen lohnt es sich, zurückzublicken und zugleich nach vorn zu denken. Denn: Die Suche nach einer solidarischen Welt ist aktueller denn je. Wir sollten also nicht aufhören Fragen zu stellen:

War unsere Solidarität mit den Menschen, mit der Idee der Revolution, mit einem politischen System? Eine inspirierende Antwort zur Frage nach Solidarität auf Augenhöhe gab die honduranische Aktivistin Miriam Miranda:

Indem du in deinem eigenen Land mit derselben Konsequenz gegen dieselben Gegner kämpfst.“7

Solidarität ist kein Relikt der 1980er. Sie ist notwendiger denn je. Wir brauchen gemeinsame Kämpfe der zivilgesellschaftlichen Bewegungen des globalen Nordens und Südens. Wir brauchen gewerkschaftliche Zusammenschlüsse, Menschenrechts- und soziale Bewegungen, Umwelt- und Tierrechtsbewegungen, für Klimagerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Vielfalt, gegenseitigen Respekt und ein Leben in Würde für alle.

Dies zu organisieren ist die große Herausforderung an uns Alle.

Quellenangaben zu ergänzenden Informationen:

  1. Kalter Krieg & US-Interventionen: Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, Dossier Lateinamerika im Kalten Krieg.

  2. Zahlen zu Guatemala, El Salvador, Chile: Amnesty International / Truth Commission Reports (CEH Guatemala; UN-El Salvador).

  3. Salvador Allende & Chile: Deutsches Historisches Museum, Online-Dossier zu Chile 1973.

  4. Brigaden & Nicaragua-Solidarität: Zeitschrift iz3w (Informationszentrum Dritte Welt), Ausgabe 2009: Nicaragua – Revolution und Ernüchterung.

  5. Armas para El Salvador“-Kampagne: taz-Archiv, Ausgabe November 1980.

  6. Verfolgt und Ausgebürgert: ZEIT online: www.zeit.de/kultur/2023-10/nircaragua-diktatur-ausbuergerung-gioconda-belli-10nach8

  7. Miriam Miranda (Zitat): Veranstaltung in Berlin, dokumentiert durch medico international, 2018.

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