Vom Altpapier zum Recyclingpapier
Zu Besuch bei der Steinbeis Papier GmbH in Glückstadt
Text: Benjamin Hellwig
Fotos: Steinbeis Papier GmbH
Hundert Prozent Altpapier als Sekundärressource: Bei der Steinbeis Papier GmbH im schleswig-holsteinischen Glückstadt an der Elbe entstehen jährlich rund 300.000 Tonnen Magazin- und Büropapier – ressourcenschonend und aus recycelten Materialien. Standortnahe Beschaffung, geschlossene Kreisläufe, ökologisches Endprodukt: ZUKUNFT.GLOBAL blickt hinter die Kulissen einer der modernsten Recyclingpapierfabriken Europas.
„Plüschhund, Ölfilter, Heizkörper, Feuerlöscher. Und hin und wieder eine benutzte Spritze“ – Eike Lömker zählt auf, was er und seine Kollegen bisweilen auf den Förderbändern finden. Gerade hält die rund 60 Meter lange Sortierstraße der Altpapiersortieranlage von AP-Concept für einen Moment an, und es ist plötzlich ruhig in der großen Halle. Mitarbeiter kontrollieren den Zustand der mehrstufigen Sortierbänder. Das Unternehmen der Steinbeis Holding arbeitet hier im schleswig holsteinischen Glückstadt an der Elbe nordwestlich von Hamburg unter anderem für die direkt nebenan stehende Steinbeis Papier GmbH. Als die vollautomatische Maschine wieder anläuft, sorgen mechanische Siebe sowie Nahinfrarot-Sensoren mit Druckluftdüsen dafür, dass die verschiedenen Papierfraktionen zueinanderfinden. „Diese Sortierung ist die Basis für unsere spätere Papierproduktion“, sagt Altpapierexperte Lömker, den ich an den Förderbändern treffe. Aus 100 Prozent Altpapier stellt die Steinbeis Papier GmbH hier am Standort Glückstadt Papiere für den Magazindruck sowie Kopier- und Druckerpapier in der Büroanwendung her. Für wettbewerbsfähige Weißegrade seiner Produkte benötigt das Unternehmen den richtigen Altpapiermix. Zeitungen und Illustrierte aus der blauen Tonne, Kalenderdrucke und Büroabfälle sind gut geeignet. Kartonagen kommen nicht infrage.
Das Altpapier bezieht AP-Concept nahezu komplett aus regionalen Quellen und somit über kurze Transportwege. Allein knapp 10.000 Tonnen kommen dabei jährlich aus den blauen Tonnen, der Haushaltssammelware des hiesigen Landkreises Steinburg. Zum weiteren Einzugsgebiet zählt auch Hamburg. „Maximal 150 Kilometer rund um die Kirchturmspitze von Glückstadt“, kommentiert Lömker. Hinzu kommen Papiere aus Druckereiabfällen, Fehldrucken, Ausschussware. Kleinere Anteile stammen aus Dänemark und Großbritannien.“
Rund drei Viertel der durchschnittlich pro Bundesbürger im Jahr verbrauchten 248 Kilogramm Pappe, Papier und Karton landeten 2016 im Altpapier. Steinbeis profitiert von dieser Quelle. Das Unternehmen verarbeitet für seine Produkte statt des Primärrohstoffs Holz ausschließlich die umweltschonende Sekundärressource Altpapier. Der Anspruch an die Qualität des nachhaltigen Hightech-Papiers ist hoch. Ob beim Einsatz als Briefpapier oder bei der Verwendung im Magazindruck: Die Recyclingprodukte von Steinbeis müssen in den Punkten Optik und Druckeigenschaften mit Papier aus frischen Holzfasern konkurrieren können und Anwender überzeugen. Doch die Zeiten, in denen Recyclingpapiere nur in gelblich-grauem Farbton zur Verfügung standen, sind Vergangenheit.
„Die Seife wirkt als Sammler für die Schmutzstoffe, wie beim Händewaschen“
Der umweltschonende Weg zum recycelten Faserrohstoff ist aufwendig. Er beginnt in Glückstadt, dem einzigen Standort des Unternehmens für die Papierherstellung, mit der Altpapierauflösung. Die sortierten Papierfraktionen werden hier mechanisch zerfasert und in gewaltigen Trommeln mit umweltverträglichen Stoffen wie Wasser, Seife, Wasserglas und Natronlauge vermischt. Hierbei entsteht eine breiartige, dunkelgraue Masse, die Faser quillt auf, die Druckfarbe platzt ab. „Die Seife wirkt dabei als Sammler für die Schmutzstoffe, wie beim Händewaschen“, sagt Andreas Steenbock. Es ist hier drinnen warm und so laut, dass mir der 51-jährige Leiter für Technisches Marketing Gehörschutz in die Hand drückt. Eine erste überdimensionale Sortiertrommel trennt Fremdstoffe wie Plastikteile, DVDs, Kreditkarten, Kosmetikproben und Folien heraus. Anschließend folgen mehrere feinere Aussortierungen bis zu einer Größe von 0,15 Millimeter. Auch die letzten in dem Gemisch verbliebenen Klebstoffe werden somit aussortiert.
Wir gelangen zum Abschnitt der sogenannten Druckfarbenflotation. Bei dem Kernprozess der Altpapieraufbereitung werden Druckfarbe und Faserstoff getrennt. Durch die Zufuhr von Luft und Seife bilden sich Seifenblasen, die die Druckfarbenpartikel an die Oberfläche führen, wo sie als dunkler Schaum entfernt werden. Steenbock öffnet in der rund 30 Meter langen Anlage mehrere metallene Luken der verschiedenen Flotationszellen. Wir beobachten die Stufen dieses Entfärbeprozesses und die immer heller werdenden Masse. Die moderne Anlage ist so konzipiert, dass Steinbeis auf die Verwendung von umwelt- und gesundheitsschädlichen Chemikalien oder chlorhaltigen Bleichmitteln verzichten kann. Im Anschluss dickt der Faserstoff in einem Filter und einer Presse ein.
Wir verlassen das Gebäude im oberen Geschoss, folgen auf einer schmalen Brücke in rund fünf Metern Höhe dem in Rohren fließenden, zurückgewonnenen Rohstoff. Rund 150 Meter weit geht es hinüber zur Papiermaschine. Die Mischung der Masse besteht zu diesem Zeitpunkt noch zu etwa 90 Prozent aus Wasser. Steenbock erklärt auf der Brücke, dass das Unternehmen den Schlamm des Entfärbeverfahrens im unternehmenseigenen Kraftwerk thermisch verwertet. Seit 2010 erzeugt der Papierhersteller mittels Wirbelschichttechnologie und Kraft-Wärme-Kopplung direkt am Standort 100 Prozent der benötigten thermischen und die Hälfte der benötigten elektrischen Energie selbst. Auch für das bei der Produktion verwendete Wasser hat Steinbeis einen Kreislauf integriert. Hierfür wird ausschließlich Oberflächenwasser aus der angrenzenden Elbe genutzt, mehrfach aufgereinigt und im Prozess mehrmals wiederverwendet. Anschließend wird es vollbiologisch gereinigt und zurück in die Elbe geführt – mindestens so sauber, wie es entnommen wurde. Die Vorteile gegenüber der konventionellen Herstellung von Papier aus frischen Holzfasern liegen für Steenbock auf der Hand. Das Unternehmen spare bei der Verarbeitung von Altpapier zu Büropapier durch diese integrierten Kreisläufe 83 Prozent Wasser, 72 Prozent Energie und 53 Prozent CO2 ein. Zudem wird durch den Verzicht auf Frischfaser kein neues Holz verbraucht. So sparen Hersteller wie Verbraucher mit einem 2,5 Kilo schweren 500-Blatt-Paket DIN-A4-Recyclingpapier rund 7,5 Kilo Holz ein.
An „PM 6“ wird gerade Magazinpapier produziert. In einer Minute laufen hier rund 1.500 Meter Papier aus den sich inzwischen mittlerweile verbundenen, recycelten Fasern über heiße Zylinder, bis die jeweils gewünschte Endfeuchte erreicht ist. Die Papiermaschine entwässert zu beiden Seiten. Hier, direkt vor der Anlage, ist es heiß. Der über der Glückstädter Fabrik aufsteigende Wasserdampf ist ein von Weitem sichtbares Zeichen dieses Produktionsschritts. In der Mitte der Papiermaschine wird eine Streichfarbe für die Bedruck- und Beschreibbarkeit aufgetragen, dann erreicht die Papierbahn das Glättwerk. Wie ein gigantisches Bügeleisen auf einem übergroßen Bügelbrett sorgen Temperatur und Druck für den Glanz des Papiers. Zum Abschluss wird das fertige Papier auf große Rollen aufgewickelt.
Ein Mitarbeiter steht neben einer fertigen Papierrolle am Ende der Anlage. Das Größenverhältnis verdeutlicht die Dimensionen des fertigen Produkts. Rund 25 Tonnen wiegt das Magazinpapier in dieser Form. Ein Rollenschneider trennt die vom jeweiligen Kunden gewünschten Breiten ab, anschließend wird das Produkt vollautomatisch verpackt, eingelagert und verschickt.
„Wir sind stolz darauf, dass wir einen Produktionsstandort schaffen konnten, der in den Bereichen Nachhaltigkeit, Ressourcen- und Energieeffizienz neue Maßstäbe setzt“
Mit seinen zwei modernen Papiermaschinen produziert Steinbeis rund 300.000 Tonnen Recyclingpapiere im Jahr. Beim Gang durch das Verwaltungsgebäude treffe ich Geschäftsführer Volker Gehr. Der 56-Jährige ist verantwortlich für die Bereiche Produktion, Technik, Forschung und Entwicklung und seit fast 13 Jahren bei Steinbeis. „Ich empfinde die Arbeit hier am Standort Glückstadt als spannend, weil wir hier sehr vielseitig aufgestellt sind. Die Kombination aus anspruchsvollen Büropapieren mit verschiedenen Weißegraden und der Produktion von Magazinpapieren ist etwas Besonderes – und das alles schon jahrzehntelang aus 100 Prozent Altpapier“, sagt er. Bereits 1976 stellte das Unternehmen von Frischfasern auf Recyclingfasern um. Mit dem Ziel, auf den intensiven Einsatz von Ressourcen wie Wasser, Energie und Holz zu verzichten, verankerte das Unternehmen früh erste Maßnahmen im Bereich Unternehmensverantwortung und ging mit ökologischem Handeln in der Branche voran. Seit 1983 sind die Büropapiere von Steinbeis mit dem deutschen Umweltzeichen „Blauer Engel“ zertifiziert. „Der „Blaue Engel” steht für Seriösität, das Siegel auf unseren Produkten schenkt Vertrauen und kommt bei Verbauchern an. Da waren wir 1983 Vorreiter. Und wir erhielten auch 2009 als erstes Unternehmen das Siegel für Magazinpapiere“, kommentiert Gehr. Und ergänzt: „Wir sind stolz darauf, dass wir hier in Glückstadt einen Produktionsstandort schaffen konnten, der in den Bereichen Nachhaltigkeit, Ressourcen- und Energieeffizienz neue Maßstäbe setzen konnte.“
3 Tipps zum eigenen Altpapiersortieren:
- Kartonagen möglichst nicht zerreißen, die Altpapiersortieranlage kann sie so besser sortieren
- Umverpackungen/Schachteln aus Papier und Karton mit dem Grünen Punkt immer in die Altpapiersammlung geben.
- Tetra Pak gehört allerdings in den gelben Sack/gelbe Tonne
Papier mit persönlichen Daten immer schreddern
Maßstäbe, von denen andere profitieren. Anwender können mit ihrem Bekenntnis zu den Steinbeis-Produkten selbst aktiv zum Ressourcenschutz beitragen. Allein die Wassereinsparung bei der Herstellung von 500 Blatt DIN-A4-Recyclingpapier liegt im Vergleich zu Papier aus Frischfasern bei rund 108 Liter Wasser. Nebenbei können Unternehmen zudem ihre Umweltbilanz und den eigenen CSR-Bericht optimieren. Die Landesverwaltung Schleswig-Holsteins steigerte beispielsweise kürzlich mit der Verwendung von Steinbeis-Papieren ihre Recyclingpapierquote 2018 im Vergleich zum Vorjahr von 58 Prozent auf 92 Prozent.
Auf der Rückfahrt verschwindet allmählich die Glückstädter Papierfabrik aus meinem Rückspiegel-Blickfeld. Mit in meinem Gepäck: Gedanken daran, dass die Herstellung von Papier aus Sekundärressourcen immer voraussetzt, das irgendwo anders noch immer Papier aus Frischfasern produziert wird. Die integrierten Kreisläufe in Glückstadt leisten bereits, dass Altpapier bis zu sieben Mal zu neuem Papier umgewandelt werden kann. Eine Entwicklung, die sicher noch nicht am Ende ist.
Meilensteine Steinbeis Papier GmbH
-
1911
Unternehmensgründung in Glückstadt bei Hamburg -
1967
Industrielle Umstellung auf die Herstellung von Recyclingpapieren -
1983
Auszeichnung mit dem Blauen Engel für Büropapiere -
1984
Inbetriebnahme einer vollbiologischen Abwasserkläranlage -
2000
Auszeichnung als „Umweltfreundlichster Betrieb" -
2005
Inbetriebnahme der Altpapieraufbereitungsanlage mit einem Investitionsaufwand von ca. 45 Mio. Euro -
2008
Deutscher Nachhaltigkeitspreis -
2009
Auszeichnung mit dem Blauen Engel für gestrichene Magazinpapiere -
2010
Inbetriebnahme des integrierten Kraftwerks mit Kraft-Wärme-Kopplung -
2012
WWF Environmental Paper Awards (Kategorien „Transparency“ und „Best Environmental Performance Paper Brands“) -
2013
Nominierung für den CSR-Preis der Deutschen Bundesregierung -
2016
Umsatz 180,6 Mio. Euro -
2017
322 Mitarbeiter (davon 30 Auszubildende) -
2018
Produktionskapazität ca. 300.000 Tonnen pro Jahr
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