Nachgefragt

Wasser für alle

Im Gespräch mit Benjamin Adrion von Viva con Agua

Interview: Benjamin Hellwig

Die Becherjäger-Crew auf dem Deichbrandfestival 2018.
Foto: Viva con Agua

Viva con Agua de Sankt Pauli e. V. setzt sich dafür ein, allen Menschen weltweit Zugang zu sauberem Trinkwasser, sanitären Anlagen und Hygieneeinrichtungen zu ermöglichen. ZUKUNFT.GLOBAL im Gespräch mit Vereinsgründer und Initiator Benjamin Adrion über freudvolles Fundraising, das Feiern von Meilensteinen und den Austausch von organisatorischem Wissen in Projektländern.

Benjamin Adrion in Hamburg.
Foto: Timon Koch

Hallo Benjamin Adrion, warum sind Optimismus und Freude so wichtig, wenn es darum geht, allen Menschen weltweit Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen?
Für uns ist das der einzig richtige Weg. Es gibt in der Entwicklungszusammenarbeit Methoden, bei denen sogenannte Verhaltensänderungen hergestellt werden sollen, da läuft vieles über Schuld und Scham. Da versuchen wir, einen Kontrapunkt zu setzen und unsere DNA klar zu vertreten. Die ist freudvoll und spielerisch, wir wollen bei Musik, Kunst und Sport einen anderen Zugang zu den Themen Trinkwasser und sanitäre Versorgung herstellen. Wir gehen davon aus, dass Lernen und nachhaltiges, soziales oder ökologisches Engagement mehr Freude macht, wenn man es mit Spaß verbindet. Und wir denken, dass man damit lieber lernt und dann besser in der Lage ist, etwas zu verändern.

Das Fundraising läuft beispielsweise über das Einsammeln von gespendeten Pfandbechern auf Festivals oder über den Verkauf des Viva con Agua Mineralwassers. Wie sieht Ihre Philosophie beim Thema klassische Spendenaquise aus?
Wir fragen uns: Wie können wir Menschen dafür gewinnen, uns Geld zu spenden. Vielfach läuft das eben über diese traurige Botschaft, über das Leid, das dann auf Plakaten zu sehen ist. Das Prinzip funktioniert, deswegen wird es so viel eingesetzt. Es ist für uns aber keine Option. Wir wollen unsere DNA der Freude und des Spaßes eben nicht nur in Deutschland zum Spendensammeln einsetzen, sondern auch in den Projektländern. Unser nächster Entwicklungsschritt wird sein, diese DNA zu übersetzen für Menschen in Ländern wie Äthiopien, Nepal oder Uganda. In Uganda beispielsweise gibt es eine Viva con Agua- Crew, die seit 2016/17 inzwischen auch als Viva con Agua Uganda vor Ort institutionalisiert ist und als eigenständige Organisation funktioniert. Diese Gruppe soll sich entwickeln können, um kreative Menschen in den Projektgebieten einzusetzen, um beispielsweise in einer Schule einen coolen Workshop zu machen oder um WASH Messages im Viva-con-Agua-Style zu verbreiten. Wir wollen den Brunnenbau mit unserem Alleinstellungsmerkmal verknüpfen. Ich denke, je mehr wie das schaffen, desto besser wird es uns gelingen, Spenden zu generieren, die wir heute noch nicht bekommen..

„All Profit – in Momenten, in denen du dich mit einem offenen Geist ohnehin schon wohlfühlst, zusätzlich etwas Gutes für andere zu tun.“

Benjamin Adrion
Ein Fokus in Nepal: Hygieneaufklärung an Schulen, um Kindern neues Hygieneverhalten zu vermitteln
Foto: Stefan Groenveld

Viva con Agua aktiviert die Zivilgesellschaft über Themen, bei denen sich Menschen wohl und gut fühlen. Wie hat sich dieses Engagement entwickelt?
Unseren Ansatz von „All Profit“ gab es schon 2005: In Momenten, in denen du dich in einem offenen Geist ohnehin schon wohlfühlst, zusätzlich etwas Gutes für andere zu tun. Wir waren damals zu fünft, und jeder von uns verstand intuitiv, wie der andere denkt. Im Laufe der Zeit schärfte sich unser Ansatz. Jetzt haben wir ein weltweites Netzwerk und müssen klarer ausdrücken, wofür wir stehen, besonders jenen gegenüber, die neu dazukommen.

Viva con Agua, Welthungerhilfe und Rural Reconstruction Nepal unterstützen Projekte im ländlichen Raum Nepals.
Foto: Melanie Haas

2017 hat der gemeinnützige Verein Viva con Agua de Sankt Pauli 3,4 Millionen Euro eingenommen. Was bedeutet dieses Wachstum für die Entwicklung der Organisation?
Wir wollen nicht „auf Teufel komm raus“ wachsen. Es ist für uns kein Selbstzweck, so zu wachsen, wie wir es aktuell tun. Bis jetzt haben wir immer eine organische Entwicklung gesehen, sowohl bei der Zahl unserer Ehrenamtlichen als auch bei den Spenden des Vereins oder beim Verkauf der Wasserflaschen. Über dieses organische Wachstum freuen wir uns. Es ist gut, so wie es ist, sonst würde es uns auch um die Ohren fliegen. Auf der anderen Seite wollen wir unsere Vision ernst nehmen. Es gibt viel zu tun, und dafür ist es gut, mehr Spenden zu generieren.

Auf Festivals wurden 2017 rund 184.000 Euro durch Pfandbecherspenden gesammelt. Was macht es Ihrer Erfahrung nach mit einem Becherjäger, für Viva con Agua aktiv zu sein?
Der Becherjäger kommt zusammen mit guten Freunden zu dem Festival, hat freien Eintritt, viele nette Leute um sich, hört seine Lieblingsbands, und macht sozusagen nebenher etwas das ihn nicht wirklich viel Kraft kostet. Stattdessen kommt er ins Gespräch mit Menschen, und am Ende springt sogar noch etwas Soziales dabei heraus. Das ist doch ein ganzer Kreis voller positiver Dinge. Und nur ein Beispiel unserer Philosophie, mit dem deutlich wird, wie wir aus dem Überschuss in unserer Gesellschaft schöpfen können. Nachhaltiger Konsum hat nicht immer etwas mit Verzicht zu tun, er kann sich auch ganzheitlich und rund anfühlen.

Späne statt Trinkwasser: Goldeimer-Komposttoiletten sensibilisieren auf vielen Festivals
Foto: Hinrich Carstensen

Und der Mensch, der den Becher beim Becherjäger abgibt, weiß, wofür er da spendet?
Wenn es nicht unbedingt sein erster Becher auf dem Festival ist, hat er vielleicht schon ein paar Promille und bekommt das dann nicht mehr unbedingt immer mit (lacht). Nein, die unterschiedlichen Stufen des Involvements sind es, die Viva con Agua auszeichnen. Von demjenigen, der seinen Becher einfach nur abgibt, bis zu derjenigen, die seit fünf Jahren in unserem Netzwerk aktiv ist.

„Nachhaltiger Konsum hat nicht immer etwas mit Verzicht zu tun, er kann sich auch ganzheitlich und rund anfühlen.“

Benjamin Adrion
Das internationale Kunst-, Musik- und Kulturfestival Millerntor Gallery inspiriert zu gesellschaftlichem Engagement
Foto: Stefan Groenveld

Das Netzwerk aus Ehrenamtlichen umfasst inzwischen Tausende VcA-Supporter, teils zusammengeschlossen in den rund 50 VcA-Crews in Deutschland, darunter Kiel, Lübeck und Flensburg. Was kennzeichnet für Sie die Partnerschaft mit diesen Crews und Supportern?
Es gibt klare Strukturen und Kommunikationsabläufe. In jeder Crew gibt es Ansprechpartner, die einmal im Jahr gewählt werden, die in einem Komitee miteinander sowie mit unserem Büro in Kontakt stehen. Es kommen aber auch immer wieder neue studentische Ehrenamtliche hinzu, die richtigerweise erst mal Autoritäten infrage stellen. Zudem haben wir die klassische Informations-Asymmetrie zwischen Menschen im Büro und ehrenamtlichen Kräften. Wir versuchen das so gut es geht immer wieder zu harmonisieren, und es gelingt uns konstruktiv. Wir gehen alle davon aus, dass Zusammenarbeit unser Erfolgsmodell ist – gibt es kritische Auseinandersetzungen, versuchen wir diese auf der Sachebene zu lösen und die Beziehungsebene freizuhalten. Diese kulturellen Anker sind uns sehr wichtig, und wir leben sie innerhalb unseres Netzwerks.

Brunnenwasser in Äthiopien
Foto: Henrik Wiards

Mit der Welthungerhilfe gibt es eine weiterere elementare Partnerschaft. Wie laufen die Auslandsarbeiten wie Brunnenbauten, Quellbefestigungen und dem Bau sanitärer Einrichtungen, beispielsweise in Nepal, Uganda, Indien, Brasilien ab?
Wir haben viele Projekte zusammen mit der Welthungerhilfe umgesetzt und machen das auch nach wie vor. Es gibt regionale Schwerpunkte, und wir wählen gemeinsam mit ihnen passende Projekte aus. Das läuft alles hervorragend, und es ist eine gute Zusammenarbeit, mit gewohnt guter Qualität des Partners. Mehr und mehr versuchen wir aber auch, unseren Anteil in die Projekte hineinzubekommen. Wir sind inzwischen auch offen für andere, kleinere Partner, um unsere Kompetenz weiter zu stärken, auch, um in Ländern wie Brasilien, in denen die Welthungerhilfe nicht aktiv ist, handeln zu können.

Was nehmen Sie persönlich aus Ihren Projektbesuchen mit?
Ich lerne von den Menschen. Das klingt banal, aber dennoch ist es wichtig zu sagen. Häufig gehen Menschen in diese Länder, wissen vieles besser und sagen den Menschen vor Ort, wie es zu laufen hat. Ich denke, es muss andersherum laufen. Im ländlichen Äthiopien beispielsweise oder anders gesagt, dort, wo kein Strom ist, lerne ich am meisten. Weil wir das nicht mehr kennen. Diese Lebensrealität ist so weit weg von dem, wie ich selbst groß geworden bin. Mir wird dort bewusst, wo wir als Planet stehen, wie eklatant die Unterschiede sind. Und wie eng verbunden die Menschen mit den Veränderungen von Land, Wetter und dem Stillen grundsätzlicher Bedürfnisse sind. Da erfahre ich eine menschliche Weisheit und Tiefe, die mich beeindruckt. Andere Maßstäbe, Werte, Betrachtungsweisen und Blicke auf die Welt, die unsere Wertvorstellungen entwaffnen. Aber natürlich ist es eine beidseitige Sache, bei der wir im Kontext von Viva con Agua voneinander lernen können. Wir tauschen organisationelles Wissen aus, und dieser Austausch ist befruchtend für beide Seiten.

Viva con Agua ist in Deutschland zudem in Kitas und Schulen aktiv, um für Trinkwasserversorgung, Abwasserentsorgung, sanitäre Anlagen und Hygieneeinrichtungen sowie Hygiene- Schulungen (WASH) zu sensibilisieren. Welche Erfolge sehen Sie mit dieser Bildungsarbeit?
Wir haben dieses Jahr sehr viele Bildungsaktionen wie Workshops oder Präsentationen durchgeführt. Zudem gibt es rund 50 Fundraisingläufe mit dem Namen „RUN4WASH“ im Jahr, bei denen Tausende Schüler mitlaufen, die wir mit dem Thema erreichen. Auch in diesem Bereich wachsen wir, haben inzwischen eine zweite Person im Bildungsbereich angestellt. Teilweise kommen wir an unsere Grenzen, bräuchten weitere ehrenamtliche Helfer. Grundsätzlich aber gilt: Schulen können uns für diese Bildungsarbeit oder einen „RUN4WASH“ direkt ansprechen, oder wir kommen auf sie zu.

Festival in Uganda
Stefan Groenveld

Über das Viva-con-Agua-Mineralwasser geht ein „flüssiger Flyer“ hinaus, der Verkauf generiert Überschüsse, die in die Projekte fließen. Gleichzeitig empfehlen Sie das Trinken von Leitungswasser. Warum?
Wir sagen niemandem: Trink bitte Wasser aus Flaschen. Wir setzen eins vorher an und sagen, der beste Weg in Deutschland, Durst zu löschen, ist mit Leitungswasser. In aller Regel ist es genießbar und ökologisch am besten. Wenn sich jemand für Flaschenwasser entscheidet, dann gibt es verschiedene Wahlmöglichkeiten, und Viva con Agua ist da eine soziale Option. Wir wollen also einerseits möglichst viel von dem Markt abbekommen, andererseits aber den Markt kleiner werden lassen.

„Es ist krass zu sehen, was man schaffen kann, wenn man über einen langen Zeitraum dranbleibt.“

Benjamin Adrion

Sie schauen auf 13 Jahre seit der Gründung von Viva con Agua zurück. Was macht diese Epoche mit Ihnen beim Blick in die Zukunft?
Egal an welchem Punkt ich stehe, ich schaue voraus, auch wenn ich mich immer mal an Zurückliegendes erinnere. Es ist wichtig, innezuhalten, sich zu zwicken, Meilensteine zu feiern. Es ist krass zu sehen, was man schaffen kann, wenn man über einen langen Zeitraum dranbleibt. Und dieses Pflänzchen gilt es zu schützen und weiter langsam und behutsam wachsen zu lassen, auch wenn es jetzt bereits feste Wurzeln hat. Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem ich das Gefühl habe, Viva von Agua hat frische Luft unter den Flügeln. Ich bin überzeugt, dass es uns noch eine ganze Weile geben wird. Unsere Wasser-GmbH beispielsweise wird dieses Jahr einen Gewinn von mehr als einer Million Euro haben. Das ist Wahnsinn.

Neue Perspektiven beim Pfandbechersammeln auf dem Deichbrand-Festival 2018
Foto: Marco Fischer

Weitere Infos:
www.vivaconagua.org

Unternehmen übernehmen durch ihr Handeln wirtschaftliche, gesellschaftliche und ökologische Verantwortung. Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit sind dabei zukunftsweisende Aspekte.
Gerne informiere ich Sie zu diesem Thema.

Lisa Jakob

    

 

Lisa Jakob
Promotorin für die Themen nachhaltige Beschaffung, Fairer Handel und Unternehmensverantwortung

Bündnis Eine Welt
Schleswig-Holstein e.V. (BEI)
Dachverband entwicklungspolitischer Organisationen

lisa.jakob@bei-sh.org
www.bei-sh.org/unternehmensverantwortung

 

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